Warum die Daredevil Netflix-Serie die bisher beste Marvel-Verfilmung ist

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Mit gespaltenen Gefühlen blicke ich auf die große Leinwand, auf der gerade die letzten Minuten von Avengers 2 laufen. Das beeindruckend scheinende finale Bild und die epochale Hintergrundmusik haben in genau diesem Moment ihren Höhepunkt erreicht, die Credits werden abgespielt, das Licht geht wieder an. Ich bin mir nicht sicher, ob ich meine Hoffnungen für ein breiter gefächertes Marvel-Kino in dieser Sekunde aufgegeben habe, bin aber auf jeden Fall kurz davor.

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Daredevil, Take 2

Dabei könnte ich nicht einmal sagen, dass ich vom neusten Film-Sprössling des beliebten Comic-Franchises enttäuscht bin. Wer den ersten Teil schon gut fand, wird wahrscheinlich auch mit „Age of Ultron“ seinen Spaß haben. Superhelden hauen Superschurken aufs Maul, es gibt eine gesunde Prise Humor und eine Menge Fanservice. Aber gerade weil sich dieser zweite Teil im Grunde exakt wie sein Vorgänger anfühlt, war er für mich nur weiteres Öl ins Feuer der allgemeinen Langeweile gegenüber der mittlerweile standardisierten Superheldenfilme des Megakonzern. „Wie passt all das zu der Überschrift des Textes?“, wird sich jetzt der ein oder andere zurecht Fragen. Nun, wie es zu der Zufall will, war der neue Avengers-Film nicht das einzige Produkt von Marvel, dass ich in letzter Zeit konsumiert habe.

Am 10. April war es endlich so weit: Die von Netflix produzierte und heiß erwartete Serie „Daredevil“ wurde, wie man es mittlerweile vom Streaminganbieter gewöhnt ist, in einem Stück veröffentlicht und lud in seinen 13 Episoden alle die noch schmerzlich die Verfilmung von 2003 im Gedächtnis hatten dazu ein, dem maskierten Verbrechensbekämpfer eine neue Chance zu geben. Und diese zweite Chance, haben Drew Goddard (Idee und Showrunner), Steven S. DeKnight (Showrunner und ausführender Produzent) und ihr Team am Schopf gepackt und eine wahrlich fantastische Serie kreiert.

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Vorneweg: Daredevil ist brutal, böse, konsequent und unbarmherzig, quasi all das, was die Filmvarianten der Marvel-Geschichten bisher missen ließen. Zwar braucht man keine Armbrüche und Blutüberschwemmungen um eine gute Story zu erzählen, jedoch kann der düstere und ernste Ton der Atmosphäre durchaus zuträglich sein und dadurch die Glaubwürdigkeit des Erzählten erhöhen. So auch im Fall der Daredevil Serie. Das heruntergekommene Loch, welches die kriminell verseuchte Stadt Hells Kitchen ist, wird durch all die dunklen und zwielichtigen Ecken sowie Personen die uns präsentiert werden zu genau diesem, unangenehmen und ranzigen Ort, über den in all den Beschreibungen der Charaktere immer wieder geredet wird.

 
Die Spreu vom Weizen

Genau diese Charaktere sind es auch, die den Unterschied zu den Marvel Filmen, aber auch zu den bisher erschienen Serien des Comicverlags machen und die Geschichte des Martial-Arts-Rächers in ganz neue, filmische Spähren hebt. Ganz vorne dabei natürlich das frische Anwaltsduo bestehend aus Matt alias Daredevil und seinem Freund und Kollegen Foggy, die in Hells Kitchen gerade dabei sind eine Kanzlei aufzumachen um mit legalen Mitteln gegen das Unrecht in ihrer Heimat zu kämpfen. Neben Karen, die als Sekretärin zum Duo dazustößt, wird uns mit dem Zeitungsreporter Ben Ulrich eine weiter Seite der Medaille im Konfliktherd Hells Kitchen gezeigt und mit dessen verzweifeltem Kampf für das Aufdecken der üblen Machenschaften gelungen die Perspektive der vierten Gewalt abgebildet.

Und jetzt kommen wir zu dem Punkt, der mich dazu bewogen hat, diesen Text mit der von mir gewählten Überschrift zu versehen. Für mich einer der größten Kritikpunkte der neueren Marvel Kino-Ableger, in Daredevil allerdings verkörpert in einem fantastischen Gegenbeispiel: Der Antagonist. Wer war nochmal der Gegenspieler in Age of Ultron? Welche Absichten verfolgte dieser noch einmal? Hier paart sich vergessenswürdiges Drehbuchschreiben mit den immergleichen Intention der immer gleichgeschalteten Oberschurken: Die komplette Zerstörung des nächstbesten Planeten, bei der jedoch schon vor dem Filmstart klar ist, dass es diese nicht geben wird. Die Gefahr ist bei Null und die glanzvollen Superhelden könnten genauso gut zweieinhalb Stunden gegen eine Laterne kämpfen.

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Weniger Bombast, mehr Spaß 

Daredevil hingegen nutzt das Potenziel einer guten Serie perfekt aus, um seinen Antagonisten langsam aufzubauen, ihm Zeit in seiner Entwicklung zu geben, als interessanten Charakter mit seinen jeweiligen Schwächen und Stärken darzustellen und ihn dadurch nicht als weiteren gesichtslosen Schurken verkommen zu lassen. Einen ganz großen Anteil daran leistet Vincent D’Onofrio (Private Paula aus Full Metal Jacket), der den im Anzug gekleideten Wilson Fisk in allen Facetten wunderbar darstellt, und seinen Charakter dadurch fast zum heimlichen Star der Serie macht, wobei auch der Rest der Besetzung wirklich gute Arbeit geleistet hat.

Und so einfach ist es eigentlich schon, eine gute Marvel-Geschichte aufs Celluloid zu bekommen. Klar, Daredevil backt kleiner Brötchen als ein Halbgott oder ein Milliardär im High-Tech-Anzug, aber gerade durch diesem Gang, der zurückgeschaltet wurde, konnte sich besser auf Details konzentriert und mehr Zeit für Dialoge, Charakteraufbau und sorgfältig ausgewählte Höhepunkte sowie Konflikte aufgebracht werden. So schafft es die Daredevil-Serie eine Geschichte, die vielleicht im Kern nicht sonderlich anders abläuft als manche Marvelfilme, mit neuen Ansätzen und einem dunklen erzählerischen Ton als frische und spannende Geschichte zu präsentieren, die zum Mitfiebern und Binge-watchen einlädt. Daher freue ich mich jetzt schon auf die mittlerweile angekündigte zweite Staffel und hoffe, dass die Qualität der ersten gehalten werden kann. Wer braucht da noch die Avengers?

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