Virtual Reality – Künftiger Standard oder ewiges Gimmick?

Gamescom 2015. Ein weiteres Mal begeben sich fachspezifische Journalisten sowie videospielfremde Medien auf die große Pilgerfahrt nach Köln, um in den weiten Hallen der Messen die neusten Meilensteine der Gaming-Industrie aufzusuchen. Ganz oben dabei: Der nächste Schritt der virtuellen Realitäten, in Form von immersiven 3D-Brillen. Während die opulente Darstellung der mehr oder weniger stylischen Augenbedeckungen Balsam für die Berichterstattung von Formaten wie „Heute“ und „Tagesschau“ sind, stellen sich die VR-Brillen erstaunlicherweise als neues Spielemedium heraus, in dessen Bann Hardcore-Spieler gleichermaßen gefangen sind wie die vermeintliche Casual-Gemeinde. Der Hype ist am Siedepunkt, der Fokus ganz klar auf die neue Technik gerichtet. Und das schon gefühlt seit Jahren.

Die Sache mit dem Hype…

Bitte versteht mich nicht falsch: Die VR-Brillen, sei es nun Oculus Rift, HTC Vive oder die Sony Morpheus scheinen allesamt ein technisches Novum darzubieten (auch wenn ich noch keines der Exemplare testen konnte) und alle die, die bereits in den Genuss der projizierten Welten gekommen sind, erzählen seit jeher mit strahlenden Augen über ihre Erfahrungen, als hätten sie den Allmächtigen in Person getroffen. Trotz oder vielleicht sogar wegen der übermäßig positiven Resonanz in puncto Virtual Reality, hege ich noch immer meine Zweifel gegenüber der angeblichen Zukunft des Gaming.

Seien wir mal ehrlich. Als Videospieler hat man, vor allem in den letzten, sagen wir mal 10 Jahren, einiges an Hardware kommen und gehen sehen. Kinect, Move, die Bewegungssteuerung der Wii; trotz der Popularität von letzterem hat sich das Controller-Fuchteln nicht als der neue Heilsbringer der Spielelandschaft herausgestellt. Und ähnliche Befürchtungen habe ich, wenn das Scheinwerferlicht der Spielemedien „mal wieder“ auf Virtual Reality gelenkt wird. Tatsächlich vermisse ich ein wenig die Prognosen was die Langfristigkeit und Ausdauer der bald im Handel erhältlichen Gerätschaften betrifft. Kann VR bestehen? Wer ist die wirkliche Zielgruppe? Wird sich das Ganze (aufgrund der teilweise recht hohen Preise) überhaupt finanziell auszahlen oder besteht die Gefahr, dass die Brillen wie Blei im Regal liegen bleiben? Auf der einen Seite könnte man annehmen, dass die neuen VR-Möglichkeiten aufgrund ihrer bisher noch relativ simplen Steuermechanik ähnliche Zielgruppen erschließen könnten wie damals die Wii, jedoch sind die teilweise komplexen Installationen der Brillen (beispielsweise die der HTC Vive, bei der ein ganzer Raum mit Sensorik ausgestattet werden muss) alles andere als Plug-and-Play.


Neue Technik trifft auf Altbewährtes

Sind die VR-Angebote also nur weitere Nerd-Spielzeuge, die von einigen Wenigen mit kleinen Demos und Minispielchen getestet und unter der Kategorie „kann man mal videospielunerfahrenen Freunden zeigen“ abgespeichert werden? Und wenn nicht, was ist der nächste logische Schritt? Inwiefern werden Hardcore-Games in Zukunft mit VR verknüpft sein? Werden wir einfach jeden kommenden AAA-Titel mit der klobigen Augenbedeckung in der Visage spielen?

Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich finde diese Vorstellung nicht sonderlich rosig. Stellen wir uns mal vor, ich würde in Zukunft all meine Xbox One-Spiele mit der Oculus spielen. Natürlich hätte ich immernoch meinen Controller in der Hand, denn komplexe Spiele wie beispielsweise das nächste Halo benötigen logischerweise auch eine komplexe Eingabemöglichkeit. Natürlich dürfte ich auf keinen Fall den rechten Analogstick berühren, da ich ja mein Sichtfeld lediglich mit meinem Kopf bestimmen würde. Auch das HUD müsste höchstwahrscheinlich vor der neuen Technik weichen, denn die altbekannten Bildschirmeinblendungen wären sicherlich das komplette Gegenteil von Immersion.

Wie man es auch dreht und wendet: So ganz scheinen aktuelle Spieletrends und VR in seiner momentanen Form noch nicht zusammen zu passen. Besonders was längere Zock-Sessions angeht habe ich noch meine Zweifel, ob bei herkömmlichen Spielen nicht vielleicht irgendwann der initiale Überraschungseffekt verpufft, und sich die Brillen in ihrer tatsächlichen Klobigkeit bemerkbar machen werden. So liegt die gesamte Hoffnung der virtuellen Realitäten in Spielen, die eigens für diese neuen Spielmöglichkeiten konzipiert werden. Spiele die den Mehrwert von Oculus und Co. begreifen und das Bestmögliche aus ihnen heraus holen. Blickt man jedoch auf das zurück, was vor noch gar nicht allzu langer Zeit den letzten großen Hype in puncto revolutionäre Eingabemöglichkeiten ausgelöst hat, mit Namen Bewegungssteuerung, verblasst zumindest meine Hoffnung ein wenig, was das kreative Potenzial der neuen Technik anbelangt. Sicher gab es das ein oder andere Spiel, das Kinect und Co. sinnvoll integriert hat und auch gab es jede Menge pfiffige Entwickler, die kreativen Schabernack mit den Entwicklerversionen der Hardware getrieben und die eigentliche Technik mit ihrem Ideenreichtum erweitert haben, aber unterm Strich ist Bewegungssteuerung im allgemeinen mittlerweile vor allem eins. Tot.

Ganz so krass wird es mit VR zwar wahrscheinlich nicht ablaufen, jedoch vermute ich, dass spätestens gegen Mitte 2016 (wenn die populärsten der Brillen erschienen sind) einige Kinnladen herunterklappen werden, ob des möglicherweise brutalen Zusammenpralls des Hypes mit der Realität.

Trotzdem wünsche ich dir viel Glück auf deinem Weg VR. Ich hoffe du schaffst es, dich trotz allem durchzusetzen und diese erste vernünftige Generation der virtuellen Realität zu überleben (vor allem finanziell). Und wer weiß: Vielleicht kann ich in 20 Jahren (wenn du dann größer und stärker bist, als wir es alle je gedacht hätten) ähnlich wie im Anime „Sword Art Online“ mit meinem kompletten Bewusstsein in die simulierten Welten hinabsteigen, die du in dir verbirgst. Das könnte zwar sehr gruselig werden, wäre aber sicherlich Stoff für ein Abenteuer, das es das wert wäre.

2 Kommentare

  1. Wirklich sehr schöner Artikel. Bezüglich Videospielen sehe ich es genauso wie du. Sehr viele Spiele profitieren überhaupt nicht von Virtual Reality. Was kann mir ein New Super Mario Bros. Oder ein Metal Gear Solid mit VR denn mehr bieten? Wahrscheinlich nichts. Wirklich richtig gut profitieren wohl vor allem Space Simulationen und Rennspiele. Beide haben Ego-Perspektive, man sitzt dauerhaft in einem Cockpit und dank Lenkrad oder Joystick sind auch die Eingabegeräte realistischer als der Controller. Da die letzten beiden Dinge bei anderen Spielen aus der Ego-Perspektive oft nicht vorhanden sind (wie zum Beispiel bei deinem Beispiel: Halo), werden diese Games wohl auch nur marginal profitieren, wobei Survival-Horror wirklich weitaus intensiver sein soll.
    Jedoch heißt dies nicht, dass die Virtual Reality-Brillen und Virtual Reality als Konzept nicht erfolgreich wird. Denn im Gegensatz zu der Bewegungssteuerung haben VR-Brillen eine andere herausragende Qualität: Neben Videospielen gibt es viele andere extrem gut geeignete potentielle Einsatzgebiete:
    1. Bei vielen speziellen Ausbildungen (Chirurg, Astronaut, Panzerfahrer…) ist das simulieren realer Arbeitsplatzbedingungen kaum bzw. sehr schwer möglich. VR bietet da wirklich viele Einsatzmäglichkeiten.
    2. Auch wenn Schulen sich eine flächendeckende Versorgung in Schulen in naher Zukunft nicht realisieren lässt, sind die potentielle Einsatzmöglichkeiten im Bildungs- und Informationsbereich spektakulär. Ich als angehender Geschichtslehrer könnte mit den Schülern durch das alte Rom gehen. Der Biolehrer könnte mit den Schülern virtuell alle Tierarten untersuchen und zwar in Realgröße (Erfahrungsbericht an Minute 14: https://www.youtube.com/watch?v=21BpTpfoVb4&ab_channel=RocketBeansTV) oder nicht nur den Film die Reise ins ich durchleben. Mathe (Geometrie), Physik und chemie könnten viel anschaulicher werden. Für die Schule ist das jetzt noch zu teuer, der Privatmensch kann das Bildungs und Informationsangebot ja auch selbst Zuhause wahrnehmen.
    3. Weiterhin gibt es natürliche sehr viele Möglichkeiten bei Unterhaltungsangeboten und -Medien abseits von Videospielen. In naher Zukunft wird wohl jedes Fußballspiel, jedes Konzert und jedes andere Großevent mit 3D Kameras gefilmt, womit man dann als VR-Zuschauer das Gefühl des mit dabei seins bekommt. Dass das geplant ist, wurde jetzt schon bestätigt. Genauso wurde auch schon Hollywood-Filmen gesprochen, die ebenfalls mit VR-Kameras drehen. Natürlich gibt es bereits jetzt schon VR-Pornos.
    4. Zu guter letzt wurde Ocolus ja nicht umsonst für einen Milliardenbetrag von Facebook gekauft. Ich denke, dass Facebook damit vor hat die sozialen Medien komplett zu ändern. Ich spreche von VR-Chatrooms und ich glaube auch, dass da eine Menge Potential drin steckt.
    Die Punkte 1 – 3 sind übrigens teilweise bereits umgesetzt, werden gerade umgesetzt oder sind schon bestätigt. All diese Dinge lassen mich glauben, dass VR nur sekundär für Videospiele Änderung bringen wird. Aber dafür für so ziemlich alles andere in unserer Kommunikations- und Medienwelt. Ich kann mir vorstellen, dass VR unsere Gesellschaft in einer ähnlich starken Art und Weise ändern wird, wie es das Internet auch schon getan hat.

  2. Danke für deinen Kommentar! Sehr interessante Punkte, die du da bringst. Du hast völlig recht, die Nutzung der VR in Bereichen abseits der Videospiele wird wohl die Technik und Verbreitung mehr voranbringen, als das pure Daddeln es jemals tun wird. Ein Bekannter vor mir hat schon vor 1-2 Jahren damit begonnen, eine Firma für die Begehung von noch nicht gebauten Häusern durch VR-Brillen, zu gründen. Scheint wohl ein Markt für die Zukunft zu sein!

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