Wenn das Schicksal eines sich den Konkurrenzkampf der Filmindustrie aussetzenden Horrorfilms mit Kammerspiel-Atmosphäre in die Hände eines 12-Jährigen Zwillingpaars gelegt wird, dann kann das Zweierlei zum Resultat haben: Entweder wird klar, dass die jungen Akteure der von ihnen abverlangten schauspielerischen Leistung nicht gerecht werden können; oder es offenbart sich wie im Falle des österreichischen Films „Ich seh, ich seh“ (international: „Goodnight Mommy“), ein unheimlich dichtes Drama angesiedelt zwischen Thriller-, Grusel- und Horrorstreifen, das uns die geringe Schauspielerfahrung der beiden Hauptpersonen ganz und gar vergessen lässt.
Die beiden Jungen Lukas und Elias ziehen zusammen mit ihrer Mutter, die gerade eine Schönheitsoperation im Gesicht hinter sich hat, in ein abgelegenes Haus auf dem Land, isoliert und in völliger Abgeschiedenheit, nur von der unmittelbaren Natur umgeben. Damit wäre auch schon die ideale Ausgangslage für einen potenziell hochspannenden Kammerspiel-Gruseler geboten, dessen Fußstapfen „Ich seh, ich seh“ auch passend ausfüllen kann. Im Grunde bestreitet das familiäre Trio, das sich im Laufe des Films immer mehr voneinander zu entfernen scheint, bereits die gesamte Erzählung. Die Mutter der beiden, die mit komplett bandagiertem Gesicht plötzlich wieder vor der Tür steht, kommt dem Zwillingspaar verändert vor, sie verhält sich ungewohnt, scheint Erinnerungslücken zu haben. So dauert es nicht lange, bis die Beiden zu der Erkenntnis kommen, dass es sich bei dieser Frau wohl nicht um ihre Mutter handelt und ihrerseits dringend etwas unternommen werden muss.
Was sich aus dieser Situation entfaltet, ist ein atmosphärisch dichtes Drama, das auch vor dem ein oder anderen Schock- und Gore-Moment nicht zurückschreckt. Die Luft die in den Dialogen zwischen der vermeintlichen Mutter und den Kindern im Raum liegt, ist zum Schneiden dick, der Moment der Eskalation wird längst möglich hinausgezögert und die Stimmung im von der Zivilisation abgeschnittenen Haus vollführt eine gewagte Gratwanderung zwischen absolutem Entsetzen seitens Lukas und Elias und der Farce einer weiter vorgespielten funktionierenden Familie. Vieles fühlt sich in „Ich seh, ich seh“ merkwürdig an, angefangen bei den obskur erscheinenden Portraits, die im großen Haus der drei an den Wänden hängen, bis hin zu der ein oder anderen Szene, die einem bis zum Schluss über die Existenz von übernatürlichen Elementen in diesem Film philosophieren lässt.
In seinen Grundzügen minimalistisch gehalten, schafft es das Regieduo von „Goodnight Mommy“, bestehend aus Severin Fiala und Veronika Franz (unter anderem beteiligt an diversen Drehbüchern von Ulrich Seidl-Filmen), mit ihren perfekt gecasteten Hauptrollen und einer hochgradig angespannten Atmosphäre einen bis zum Ende spannenden sowohl mentalen als auch physischen Kampf zwischen drei Menschen zu präsentieren, deren Liebe füreinander ins Wanken geraten zu scheint. Ein besonderes Lob geht dabei abermals an Lukas und Elias Schwarz, die in ihren Rollen als Opfer einer Frau, die sich als Mutter ausgibt, aber diese nicht zu sein scheint, aufgehen. Durch ihre Verletzlichkeit, die alleine schon von ihrem jungen Alter herrührt und in den Fängen ihrer Mutter sowie des Hauses gehalten, sorgen sie für eine enorme Anspannung beim Zuschauer. Denn eines merkt man recht schnell; Dies ist kein Hollywood-Streifen mit Happyend.