Der soziale Virus von „Pokemon Go“

Manchmal passieren Dinge, die man nicht mal im Ansatz auf der Uhr hatte. Einen medialen Nachhall und eine tatsächliche Erfolgsrate von Dingen im Vorfeld zu berechnen, grenzt eigentlich an der Unmöglichkeit. Vielleicht gab es im Vorfeld von „Pokemon Go“ Leute, die bereits seit der ersten Ankündigung der neuen Nintendo-App (die tatsächlich bereits ein Weilchen zurückliegt) geahnt haben, was uns hier erwarten wird. Ich bin mir zumindest nicht einmal genau sicher, ob ich besagte Ankündigungen überhaupt mitbekommen habe. Gut vorstellen kann ich mir sogar, dass ich diesem Video nicht mehr als ein müdes Lächeln beigemessen habe, nicht ahnend, dass hier offenbar ein derartiges Massenphänomen im Videospielmantel auf uns zu kommt, welches sogar die damalige generationsübergreifende „Lass-uns-alle-gemeinsam-Spielen“- Wirkung der Wii in den Schatten stellt.

Ich glaube, so wie es sich momentan anfühlt, muss es ungefähr gewesen sein, als die Mondlandung stattgefunden hat. Für eine kurze Zeit gibt es in der Gesellschaft kein anderes Gesprächsthema, jeder ist von ein und dergleichen Thematik gefesselt und es herrscht zumindest für eine gewisse Zeit ein Gefühl von gegenseitiger Verbundenheit. Im Falle von „Pokemon Go“ hat der Einfluss auf die jüngere Gesellschaft mittlerweile tatsächlich beinahe schon erschreckende Züge angenommen. Man tritt vor die Tür, läuft zum Bus – und die anderen Wartenden spielen bereits Pokemon. Man steigt in den Bus – und wird von weiteren Spielern begrüßt, die das flinke Nahverkehrsmittel als Möglichkeit nutzen, um unproblematisch diverse Pokestops abzugrasen. Man steigt aus dem Bus, läuft durch den Park – und sieht diverse „Pokemon Go“ Spieler an allen Ecken stehen oder daliegen, Freunde die sich gemeinsam auf die Jagd gemacht haben und Fremde, die durch die App zu Freunden mit gleichen Zielen wurden.

Um das mal abzukürzen: Wo man momentan auch hinläuft, überall stößt man mittlerweile auf Leute, die auf der Suche nach den kleinen Monstern die Städte und Landschaften unsicher machen, Pokestops aufsuchen und sich um Arenen prügeln. Der Effekt der neuesten Pokemon-Version kam rasend schnell, ein Hype musste gar nicht erst schleichend aufgebaut werden, Marketing jeder Art war völlig unnötig. „Pokemon Go“ war bereits ab dem Tag seiner Veröffentlichung ein Hit. Und das ist eigentlich kein Wunder. Die Marke Pokemon hat sich seit der Erstveröffentlichung im Jahr 1996 ins Herz der Videospielgesellschaft eingebrannt. Die Nostalgie aus vergangenen Tagen, welche die spielende Meute seit Jahren mit sich herumträgt, wurde schließlich das perfekte Opfer von Pokemon Go. Auch wenn die Spielereihe immer schon von Menschen aus allen möglichen Altersstufen konsumiert wurde, hat man jetzt mit der Generation der 20-30-Jährigen, smartphonebesitzenden und technikinteressierten Videospieler sowie Casualgamer eine perfekte pokemonverrückte Zielgruppe gefunden und diese nun erfolgreich zu einer monsterjagenden Zombie-Armee umformatiert. Chapeau dafür, Nintendo.

Und ja, auch ich bin Teil dieser Zielgruppe. Und dabei bin ich nicht einmal verrückt nach Pokemon. Ich habe die Reihe um ehrlich zu sein nie wirklich gespielt. Aber durch die omnipräsente Verbreitung der App und einer gesunden Prise Gruppenzwang, kam auch ich endlich dazu zu empfinden, was es heißt, sie alle fangen zu wollen. Der Suchtfaktor ist enorm hoch, und das bei einem Spiel, bei dem man tatsächlich RAUS gehen muss. Die eigenen vier Wände verlassen. Als Videospieler. Und es funktioniert sogar! Selten war ich überraschter von mir selbst, als ich begann, einen abendlichen Spaziergang durch die Nachbarschaft als neue Abendroutine in mein Leben zu integrieren, um Meter für meine ausbrütbaren Eier zu machen und den ein oder anderen Fang dabei mitzunehmen.

Und auch die soziale Komponente, der zwangsläufige Dialog mit anderen infizierten des Go-Virus, hat sogar mich ergegriffen, was mich fast noch mehr faszinierte. In einem direkten Fall kam ich dank „Pokemon Go“ das erste Mal seit einem ganzen Semester mit manchen Kommilitonen in den Dialog und merkte an den strahlenden Gesichtern der Beteiligten, den Zauber den „Pokemon Go“ entfaltete. Keiner weiß wie lange der Hype um Go standhalten wird. Ob nicht vielleicht schon in drei oder vier Wochen keiner mehr auf der Suche nach Pikachu und Co. durch die Straßen stromern, sondern wieder seinen gewohnten Tagesablauf frönen wird. Aber den Status Quo an dem wir uns momentan befinden, sollten wir genießen. Das Medienereignis „Pokemon“ Go ist der Wahnsinn und etwas Besonderes, dass es wohl in dieser Form mit diesem tatsächlichen Einfluss auf unsere jüngere Gesellschaft nicht so schnell wiedergeben wird. Also, geht gefälligst raus, trefft euch mit Freunden, seid sozial und lernt neue Menschen kennen. Denn keine Sorge, mit der „Pokemon Go“ App im Anschlag scheint offenbar kein Eis zu dick zum Brechen zu sein.

4 Kommentare

  1. Ich finde es gut, dass auch auf kleineren Blogs wie deinem so ein Artikel über das omnipräsente Pokémon-GO-Phänomen gepostet wird und ich mir als ebenso vertrauter Spieler mal eine persönliche / unabhängige Meinung abholen kann.

    Aber ich persönlich finde, dass die App aktuell noch ein Prototyp von dem Potenzial ist, das noch in Sachen Outside-GPS-based-Gaming möglich ist – beispielsweise könnte man quasi ein "Diablo" programmieren, in der man in der Nachbarschaft Monster bzw. Mobs killt, fortwährend bessere Ausrüstung einsammelt, bestimmte Quests nur gemeinsam lösen kann und hier und dort sogar Rätselqueststandorte hat – der soziale Faktor würde dadurch steigen, indem man quasi wie in "World of Warcraft" tatsächlich gemeinsam gegen ein und dieselbe Monsterschar vorgeht (stell dir mal vor Blizzard bringt das raus – und zwar ohne InApp-Käufe, professionell aufgesetzt und vor allem: Permanent gepatched). Aktuell ist Pokémon GO lediglich ein Singleplayer-Vergnügen, das zudem anstatt die tatsächlichen Probleme und Bedürfnisse der Spieler anzugehen, sich lieber um "Minor text fixes" kümmert (, aber vermutlich mit all dem Ansturm überhaupt nicht umgehen kann – ich weiß nicht wie groß das Team ist, aber sie hatten erstens eine Betaphase vorher, die auch offiziell an viele Spieler rausging – und die Arenen sind auf ihrem eigenen Vorgänger "Ingress" basierend). Leider stürzt die App andauernd hat, hat Fehler, es fehlen Features zum Tauschen bzw. ist der Kampf noch rudimentär – und auch die soziale Interaktion beschränkt sich auf belustigtes Grüßen, dem Gespräch wie weit man gerade ist usw. – und die soziale Interaktion findet meist (zumindest aus meiner Erfahrung) recht beschränkt statt. Jeder schaut auf sein Smartphone, ist in Sekunden abgelenkt, weil ein neues Viech auftaucht und es fangen muss. Meine Kollegen auf der Arbeit spielen es während dieser, gehen in der Mittagspause gemeinsam auf Tour durch die Nachbarschaft, bedienen sogar das Handy teilweise beim Fahren, um alle möglichen Pokéstops einzusammeln und oftmals gibt es kaum ein anderes Thema aktuell. Ich rede auch bis zu einem gewissen Grad gern drüber, interessiere mich dafür, befürworte das tatsächliche Rausgehen, war anfangs ebenso gehyped und weiß um diese verdammte Suchtwirkung des Spiels "nur noch eines zu fangen" – aber ich glaube, dass die Faszination auf dem Dorfe (wie bei mir) weniger groß ist wie in einer Großstadt, wo halt viel mehr los is (ist auch ein Problem der App wie ich finde). Und ich persönlich sehr abwäge: Will ich jetzt die Zeit investieren, um mit meinem Level 7 noch meinen Freunden nachzuhechten – oder doch lieber etwas anderes machen? Zumal ab einem hohen Level (sagen wir 15), wenig Pokebälle nachkommen, man noch mehr an Pokéstops gebunden ist, die Viecher ständig ausbüchsen und man quasi Ressourcen ohne Ende verwendet… nur damit auf einen Schlag der Shop quasi das Lockmittel wird… und dafür, dass manche Pokémon ländergebunden sind oder die superseltenen noch gar nicht fangbar sind?

    … (Part 2 folgt separat)

  2. Part 2:

    Für mich persönlich ist es schon genug. Ich war mit 3 guten Freunden einmal on tour – und beim zweiten Mal war's mir schon etwas zuviel (kurz bevor die sich ihren Tag umgestaltet haben und in der Mittagspause woanders sind als mit uns "anderen" Essen zu gehen). Und bei der Tour war ich froh, dass ich Sam dabei hatte, mit dem ich noch nebenbei über gewisse andere Dinge sprechen konnte – weil er aus NewZealand kommt und dadurch natürlich auch andere Insights und Stories aus dem Leben, bzgl Pokémon GO oder auch nicht, rauskommen 🙂 Mir persönlich hat das am meisten Spaß gemacht.

    Aber interessant welchen Zeitgeist es trifft, wie genial einfach die App ist und was für eine Massenfaszination sie ausgelöst hat – und auch die Gesundheit fördert. Nur bei der sozialen Interaktion bin ich mir noch nicht einig. Auf den Straßen guck ich einzelne alleinige Spieler schon recht fremdschämend / peinlich berührt an – und manchmal glaube ich in ihren Augen erkennen zu können, dass sie genau wissen wie ich darüber denke (da ich das Handy nicht in der Hand habe^^)…

  3. Danke für deinen sehr ausführlichen Kommentar! Stimme dir in vielen Aspekten zu, die App funktioniert bei weitem noch nicht fehlerfrei und eine Menge Content wird noch vorenthalten. Mein Fokus im Artikel sollte vielmehr meine eigene Überraschung ob dieses plötzlichen und für mich völlig überraschendem Medienphänomen wiederspiegeln. ALLERDINGS merke ich bereits, dass meine eigene Begeisterung mittlerweile ebenfalls schon ein wenig nachgelassen hat, im Vergleich zu den ersten paar Tagen. Ich glaube nicht, dass ich noch sonderlich viele Wochen Go spielen werde (vielleicht eher punktuiert, wenn zukünftige Updates rauskommen), allerdings ist das auch nicht zwingend die Erwartungshaltung, die ich an Spiele habe. Auf die weiteren Entwicklungen der App bin trotzdem sehr gespannt, ebenso auf das von dir erwähnte Potenzial, das im Genre des GPS-based-Gaming schlummert. Ich denke der Erfolg von Pokemon Go wird jetzt die anderen großen Player im Videospielbusiness auf den Plan bringen, ebenfalls auf den Zug aufzusteigen. Und wenn das passiert, müssen wir Nintendo, so finde ich, auf jeden Fall für ihre Pioniersarbeit danken (und natürlich auch Ingress, was ja schließlich schon vorher existierte).

  4. Ich stimme dir in allen Punkten zu! 🙂 Meine Begeisterung ist jetzt auch wieder auf ein objektiv-nüchternes Normalmaß zurückgegangen und ich werd ebenso immer mal wieder reinschauen, was die Updates denn noch so alles bringen. Der zweite (also der von letzter Woche) war ziemlich 'witzig' und das folgende Meme beschreibt genau was sich jeder dazu dachte:

    http://i0.kym-cdn.com/photos/images/newsfeed/001/149/497/010.jpg

    Niantic ist zwar eine "Pokémon Company", doch hat Nintendo nur 13% Gewinnbeteiligung an dem Erfolg der App. Niantic selbst ist ja ein amerikanisches Unternehmen 🙂 Aber ja – ihre Pioniersarbeit wird in die Geschichte der Videospiele eingehen. So einen Ansturm hab ich in meinen 29 Jahren bisher noch nicht erlebt^^

    Danke für deine Antwort – hat mich echt gefreut!

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