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Dass einzelne Abschnitte in Videospielen durch Ladeunterbrechungen voneinander abgegrenzt werden, ist eine Tradition, die sich mittlerweile bei vielen ins ludische Unterbewusstsein eingebrannt hat. Die kommende Konsolengeneration wirbt nun erstmals damit, dieser Warterei allmählich ein Ende zu machen. Mit Hilfe von leistungsstarker Hardware und der Magie von SSD-Festplatten wird der unfreiwilligen Spielunterbrechung der Kampf angesagt, aufwendige Assets sollen nun beinahe augenblicklich ins Spiel geladen werden können. Doch wohin führt das: In eine entspanntere Zukunft voll neuer kreativer Potentiale, oder in die absolute Reizüberflutung der pausenlosen Unmittelbarkeit?
Es war einmal die Ladezeit
Trotz ihrer momentanen Omnipräsenz sind Ladebildschirme wie wir sie heute kennen erst verhältnismäßig spät auf der Bühne der Videospielgeschichte in Erscheinung getreten. Ein empfehlenswertes Video zur Thematik findet sich auf dem Kanal des YouTubers NakeyJakey. Da in früheren Zeiten die elektronischen Cartridges von NES und Co. quasi als Verlängerung des Arbeitsspeichers der eigentlichen Konsole dienten, konnten Daten schneller abgerufen und Ladezeiten verhindert werden. Das Zeitalter der optischen Datenträger verlangsamte diesen Prozess wieder, da Informationen erst über ein Laufwerk ausgelesen werden mussten. Einzelne Spielabschnitte konnten in Folge dessen nicht mehr augenblicklich aufgerufen werden, und voilà, die Ladezeit ward geboren. Was jetzt allerdings Ladezeiten, Minispiele und Namco miteinander zu tun haben, könnt ihr bei NakeyJakey nachhören – in diesem Text soll es um andere Aspekte gehen.
Ladezeiten durch die Brille der Literaturwissenschaften
Dennoch muss zumindest kurz auf die Mannigfaltigkeit von Ladebildschirmen in Videospielen eingegangen werden, und im Anschluss darauf, wie diese eingebettet sind und welche Bedeutung sie im Gesamtkontext von Spielen einnehmen. Dafür bedarf es aber zuallererst einer Einordnung dessen, was Ladezeiten für den Interpretationsprozess eines Spiels eigentlich darstellen. Literaturwissenschaftlich betrachtet könnte man sie nach Genette als Paratexte bezeichnen, genauer gesagt als Peritexte. Damit sind jene Abschnitte eines Werkes gemeint, die zwar auf einer materiellen Ebene zum Werk dazugehören, die aber eine eher rahmende Funktion einnehmen, beziehungsweise der Präsentation des Werkes dienen; am Beispiel eines Buches würde man das Cover, Widmungen, Vorwörter oder auch Kapitelmarken als solche Peritexte bezeichnen. Das Gegenstück hierzu wären übrigens Epitexte, die sich zwar auf ein bestimmtes Werk beziehen, aber in keiner materiellen Verbindung stehen – beispielsweise Flyer oder Kritiken zu einem neu erschienenen Roman.
Die Ladezeit hatte ihren Ursprung also in einer technischen Limitierung. Das heißt, dass die Frage ihrer Integration, wenn auch aufgezwungen, schon seit ihren Anfängen Teil des Designprozesses sein musste. Wenn man also ohnehin darauf angewiesen war, warum nicht das Beste daraus machen? Und tatsächlich bewies in den Jahrzehnten der optischen Datenträger so manch ein Spiel, dass Ladezeiten mehr als nur lästige Spielpausierer sein können. Denn begriffen als Paratexte lassen sich Ladezeiten auf einer strukturierenden, kommentierenden oder reflektierenden Ebene betrachten, die eine Spielerfahrung komplementieren, statt nur im Weg rumzustehen.
Wenn die Ladezeit das Spiel ergänzt: Warten auf Zombie
Ein Paradebeispiel für Ladebildschirme findet sich in den Resident Evil-Spielen. Die Großaufnahmen der unterschiedlich gestalteten Türen, die die verschiedenen Spielabschnitte verbinden, sind ein elementarer Bestandteil der Reihe und nicht mehr wegzudenken. Neben ihrer ladezeitüberbrückenden Funktion tragen sie zusätzlich zur Orientierung bei und fördern das Mysterium darum, was sich wohl hinter ihnen befinden mag.
Gaston Bachelard hat die Tür mal als „ganzen Kosmos des Halboffenen“ bezeichnet, als Demarkierung zwischen dem Bekannten und Unbekannten, die Verkörperung all unserer Begierden, das Fremde zu ergründen. Dieses Fremde mag sich in Resident Evil in neun von zehn Fällen als weiteres Zombiegetier herausstellen, doch enthüllt das Halboffene ausnahmsweise mal einen der begehrten Save Rooms, weicht die Anspannung der vorigen Türkonfrontationen zumindest für einen Moment von unseren Schultern.
Zwangsentschleunigt durch die Galaxie
Für einen anderen Ansatz entschied sich die Mass Effect-Reihe. In einem Universum, das von Weltraumportalen, biotischen Waffenarsenalen und intergalaktischer Krisenbewältigung geprägt ist, offenbart sich ausgerechnet das Fahrstuhlfahren als größter Ausbremser einer futuristischen Gesamtästhetik. Auch im Jahr 2183 ist ein Aufzug immer noch ein Aufzug – nervtötende Düdelmusik und peinlich berührte Überbrückungsgespräche inklusive. Dass auch hier nur eine weitere Ladezeit kaschiert werden soll, ist jedem nach kurzer Zeit klar. Und zugegebenermaßen macht sich bereits nach wenigen Fahrten und Gesprächen von Crewmitgliedern eine innere Langeweile breit.
Auch wenn das vielleicht nicht so angedacht war, offenbart sich diese aufgezwungene Entschleunigung doch als treffende Ergänzung zur generellen Langsamkeit – zumindest des ersten Teils – der Reihe, die sich bei genauerer Betrachtung an vielen Ecken findet. Wenn ihr in eurem Wobbel-Gefährt, dem Mako, den Regeln der Physik trotzt und dabei über trostlose Planetenlandschaften eiert, wenn ihr das gemächliche Treiben auf den verschiedenen Ebenen der Citadel erforscht, oder einfach nur die Erkundung eures Raumschiffs zum Mini-Walking Simulator macht, dann fühlen sich die beinahe schon betäubend langatmigen Fahrstuhlfahrten plötzlich gar nicht mehr so unpassend an.
Honorable Mentions
Die Liste mit weiteren nennenswerten Ladesituationen in Spielen ist lang und kann hier in Gänze natürlich nicht untergebracht werden. Erwähnenswert wären noch Spiele wie The Elder Scrolls V: Skyrim oder Fallout 4, die in ihren Ladepausen 3D-Modelle ihrer Figuren und Gegenstände zur freien Begutachtung bereitstellen, Spiele wie Bayonetta, die einen im Ladebildschirm schon mal Skillkombos ausprobieren lassen, oder auch, mein persönlicher Favorit; Batman: Arkham Asylum. Nachdem Batman hier von Scarecrow mit hirnvernebelnden Substanzen außer Gefecht gesetzt wurde, erleben wir den Spielanfang noch mal aus einer anderen Perspektive. Statt dem Joker wird nun der gefesselte Batman in die psychiatrische Einrichtung gebracht und am Ende der Sequenz sogar vom Joker erschossen. Den Spielenden wird im anschließenden Game Over-Screen mitgeteilt, man solle dem Schuss des Jokers mit dem mittleren Stick ausweichen, was natürlich Unsinn ist. Die nächste Szene zeigt dementsprechend keinen Neuversuch, sondern offenbart, dass sich Batman in Wahrheit in Scarecrows Albtraumrealität befindet.
Ladebildschirme als strukturierendes Element
Ladebildschirme, Spielunterbrechungen, die uns von einer Szene in die nächste überleiten, sind also Bestandteil der momentanen Spielekultur. Sie erfüllen nicht nur einen technischen Zweck, sondern haben auch eine dramaturgische Relevanz. Die Schnellreise sowie das Betreten von separierten Spielabschnitten verkörpern die Ladezeit heutzutage mit am stärksten. In beiden Fällen wird durch die Ladeunterbrechung eine narrative Leerstelle erzeugt, die von den Spielenden eine interpretative Leistung erfordert. Wenn wir ein Haus in einem Videospiel betreten, befinden wir uns in der nächsten Szene nicht zwangsläufig im Eingangsbereich, sondern eben dort, wo uns das Spiel haben will. Hinterfragen tun wir das in der Regel nicht. Ebenso dient die Visualisierung der Reise von einem Handlungsort zum nächsten auf einer Overmap in einem Rollenspiel wie Dragon Age: Origins als kognitive Hilfestellung, um eine Vorstellung von einer Welt zu bekommen, die größer ist als die Summe ihrer Teile.
Eine lange Reise erfordert natürlich auch eine längere Ladezeit. Das macht auf einer technischen Ebene zwar keinen Sinn, korreliert aber möglicherweise mit unseren Erwartungen zum Worldbuilding. Im PS5-Launchtitel Spider-Man: Miles Morales ist es möglich, beinahe augenblicklich von einem Ort zum nächsten schnellzureisen. Diese technologische Errungenschaft wurde im Designprozess sogar soweit bedacht, dass eine Option eingebaut wurde, die es erlaubt, über die Liste der Nebenaktivitäten direkt zu den jeweiligen Aufgaben zu springen – ganz ohne Ladezeit und ohne dabei selbst quer durch die Karte manövrieren zu müssen. Im Kontext dieses Beispiels wurde auf Twitter und Co. bereits diskutiert, ob hierbei eine Kosten-Nutzen-Optimierung von eigentlich minderqualitativen Inhalten stattfindet, oder nun der heilige Gral des Completionism gefunden wurde.
Neben der Frage, ob AAA-Spiele dadurch noch stärker Elemente integrieren werden, die sich relativ emotionslos ‚abarbeiten‘ lassen, interessiert mich vor allem die Zukunft der Ladepause als interpretative Leerstelle, wie bereits oben erwähnt. Wir gehen zur Vereinfachung mal von einer Zukunft aus, in der Ladezeiten de facto auf ein solches Minimum reduziert wurden, dass gesonderte Einblendungen o.Ä. nicht mehr von Nöten wären. Wie wird sich das in Spielen bemerkbar machen, die ihr Setting aus dramaturgischen Gründen wechseln, die sich jedoch gegen eine zusammenhängende Spielwelt entscheiden? Wird sich die Ästhetik dieser Zwischenstelle womöglich noch stärker an den Film annähern, mit montageartigen Aneinanderreihungen von Zwischensequenzen?
Der Umgang mit der Unmittelbarkeit
Das erste Material zum neuen Ratchet & Clank: Rift Apart gibt hier vielleicht schon eine erste Antwort. In den veröffentlichen Szenen sieht man die Figuren durch Dimensionsportale fliegen, die jeweils einen kurzen Blick auf die verschiedenen Spielwelten werfen lassen. Was vielleicht auf den ersten Blick wie eine humorvolle Darbietung der neuen ladezeitmindernden Rechenpower wirkt, stellt sich bei genauerer Betrachtung als logischer Schluss einer vollkommenen Ablehnung der Ladepause heraus. Wenn die Leerstelle wegfällt und die Unmittelbarkeit des erlebten spielerischen Moments zur vollkommenen Maxime wird, dann wird auch die künstlich erzeugte Überbrückung von einem gespielten Moment zum nächsten als zu korrigieren betrachtet. Ein Spiel das kein Film sein möchte, muss sich zwangsläufig an seiner spielerischen Erfahrung und Einverleibung der erzählten Welt entlanghangeln. Jedem betretenen Haus und jeder angebrochenen Reise an ferne Orte geht daher zwangsläufig die designtechnische Frage voraus, wie diese zum Schein einer ganzheitlichen Spielwelt beitragen, die so überhaupt nicht existiert. Ein Dimensionsportal, das einem ohne Unterbrechung erlaubt, dieses unmittelbare Erleben von einem Setting aufs nächste zu übertragen, ist dabei eine ideale Mechanik.
Diese gelebte Unmittelbarkeit von Raum und Zeit ist ein prägender Aspekt des Menschseins im 21. Jahrhundert. Im Digitalen schaffen wir uns gemeinsam neue Orte, neue Netzwerke. Die Knotenpunkte dieser Netze sind raum-zeitlich heterogen, ihre Anfangs- und Endpunkte verschwimmen in der Gesamtheit des Rhizoms, das wir Internet nennen. Die Gleichzeitigkeit von allen Dingen, die uns früher als eindeutiger differenzierbar und klarer bestimmbar erschienen, erzeugen innere und äußere Spannungen, für die uns keine einfache Lösung präsentiert wird. Diese neue Vernetztheit bietet uns aber auch neue Blickwinkel. Sie konfrontiert uns mit dem Unerwarteten. Und sie zwingt uns, selbst eine Haltung zu ihrem Phänomen des Unmittelbaren einzunehmen.
Auch Spiele werden sich in Zukunft diesbezüglich wohl häufiger positionieren müssen. Ist das Ziel die vollkommene Abschaffung von allem, was der pausenlosen unmittelbaren Spielerfahrung im Weg steht, die endgültige Überwindung von Raum und Zeit, oder der offene Umgang mit den eigenen Leerstellen, mit Momenten des Innehaltens und mit einer eindeutigeren Rahmung des Spiels als technisches Produkt? Denn eines lässt sich abschließend über Ladezeiten sagen: In einer Zeit von angestrebtem Hyperrealismus, süchtig machenden Mechaniken und VR-Hype war der Wunsch nach vollkommener Immersion nie größer.
Verschleierung technischer Gebundenheit
Gleichzeitig sind Ladezeiten in ihrer paratextuellen rahmenden Funktion bis heute ein zentrales Element, das auf die besondere technische Gebundenheit des Mediums Spiel hinweist. So lässt sich zumindest die Frage stellen, ob die Materialität, die Spiele ausmacht, das Gefühl einer Rahmung und generellen Limitierung, nicht möglicherweise zu Gunsten der Unmittelbarkeit verloren gehen könnte. Dieser verlorengehende Blick für die Materialität und technische Grundlage von digitalen Objekten erleben wir aktuell auch auf sozialen Plattformen wie Facebook oder Instagram, die uns mit ihren Algorithmen einen vermeintlich objektiven Blick auf die Welt anzudrehen versuchen, der sein eigenes technisches Fundament und seine Ideologie allerdings im Back-End verschleiert.
Dieser plötzliche Materialismus von meiner Seite aus mag im Kontext meines vorletzten Artikels vielleicht seltsam klingen, wo ich noch von der ideellen Beschaffenheit des Spiels geschwärmt habe, das sich erst im Prozess des Spielens konstituiert. Doch ist die materielle Basis von Spielen als Objekt natürlich ein Fakt, der nicht verschwiegen werden kann. Deswegen ist auch jeder Versuch der vollkommenen Verschleierung dessen mit Vorsicht zu genießen. Das Spiel als Objekt, das von einer Welt erzählt, wird immer an Limitationen gebunden sein, so wie es alle Werke oder Datensätze sind, die sich mit einer exakten Beschreibung und Erzählung beschäftigen. Auch die Abschaffung von Ladezeiten wird nichts daran ändern. Was aber bleiben wird ist die Frage, welchen Mythos Spiele ihrer Kundschaft in Zukunft erzählen werden: Den des Eingeständnisses der eigenen technischen Wurzeln oder den einer vollkommenen Abbildbarkeit und Einverleibung einer spielerischen Umgebung? Auf die Antwort bin ich sehr gespannt. Und ich werde es wohl noch einige Jahre bleiben.