Das philosophische Nachspiel – Soma

Filme, Spiele, Literatur; In den meisten Fällen erfüllen genannte Medienformen vor allem einem Zweck: Dem der Unterhaltung des Zuschauers, stellenweise vielleicht auch dem des Eskapismus, das Ganze verpackt innerhalb einer gewissen Kurzweiligkeit. Hin und wieder gibt es aber auch Ausnahmen. Künstlerisch wertvolle Ansätze, der Anspruch dem Konsumenten etwas zu geben, über das er grübeln kann, das ihn über die Welt und das Leben, die Gesellschaft und allem was dazugehört, nachdenken lässt. Bei Videospielen sind diese Momente, in denen man geistig die Ebene des Mediums verlässt und immer wieder für kurze Zeit seine Gedankenwelt zu den im Spiel angesprochenen Inhalten abschweifen lässt, rar gesät. Trotzdem hatte ich vor geraumer Zeit genau diesen Effekt bei mir festgestellt, bei einem Spiel, dessen frische inhaltliche Ideen und philosophischer Ansatz mich sogar jetzt noch, mehrere Wochen nach dem Durchspielen, immer wieder darüber sinnieren lassen.

Die Grenze der Realität
 

„Soma“ heißt das Spiel und ist vom gleichen Team, das auch schon für das Grusel-Abenteuer „Amnesia – The Dark Descent“ verantwortlich war. Aber damit das klar ist: Das hier soll kein Review werden, ich möchte nicht die Spielelemente aufzählen, einzeln beurteilen und den Horrorfaktor mit einer Skala von 1-10 bewerten. Um ehrlich zu sein, fand ich „Soma“ spielerisch eher ziemlich mittelmäßig. Thema von diesem Text soll vor allem das Ende sowie die grundlegende Idee sein, auf der die Geschichte von „Soma“ aufbaut. Denn in diesem Punkt betreten die Entwickler Frictional Games inhaltlich tatsächlich Neuland, zumindest im Videospielbereich. Die großen Fragen, die im Laufe des Horrorabenteuers indirekt gestellt werden sind vielfältig: Was definiert Leben? Ab wann ist ein Leben lebenswert? Ist die perfekt simulierte Realität gleichzusetzen mit der tatsächlichen Realität? Oder verschwimmt diese Grenze, wenn man an dem Punkt angekommen ist, an dem die Illusion nicht mehr vom Echten zu unterscheiden ist?

Für alle die „Soma“ nicht gespielt haben, hier ein kleiner Storyumriss: Wir durchleben die Geschichte von Simon Jarret, einem jungen Mann, der in einem Autounfall seine Freundin verloren hat und daraus selbst schwere Hirnschäden davonzog. In seinem Zustand willigt er ein, sich als Subjekt eines experimentellem Hirnscans bereitzustellen, der ihn offenbar in eine Art Unterwasserbasis zu teleportieren scheint, hinein in einen menschenverlassenen Albtraum, aus dem wir uns als Spieler nun retten müssen. Was dabei nach einigen Stunden rauskommt: Wir, also Simon, sind schon lange tot. Was der Scan gemacht hat, war, eine exakte Kopie des Bewusstseins unseres Protagonisten zu erstellen, der erste Schritt einer futuristischen neuen Technik. Die Person, die wir im Laufe des Spiels steuern, ist nicht Simon, sondern lediglich dessen Bewusstsein, kopiert in den leblosen Körper eines verstorbenen Mitarbeiters der Unterwasser-Station. Noch dazu befinden wir uns im Jahr 2104, in einer zukünftigen Welt, die ein Jahr zuvor von einem Meteoriten zerstört wurde und deren einzige Hoffnung auf Fortbestand in den Hände der Besatzung der genannten Forschungsstation ruht. Mithilfe der Technik, die schon am Ursprungs-Simon verwendet wurde, soll versucht werden, die Bewusstsein der Mitarbeiter der Tiefseeeinrichtung in die sogenannte „Arche“ zu kopieren, eine simulierte Version der Realität. Diese soll schließlich per Raketenabschussrampe in die Weiten des Alls geschickt werden, mit der Hoffnung, dass sie vielleicht von fremden Zivilisationen eines Tages entdeckt wird.

Eine aussichtslose Situation
Klingt bereits ziemlich erschreckend, nicht wahr? Die existenziellen Gedanken erreichen einen als Spieler bereits ab dem Moment, ab dem klar wird, das Simon gar nicht Simon ist. Unser Protagonist, den wir zwar nur wenige Minuten in seiner eigenen Zeit spielen durften, ist zum Zeitpunkt des eigentlichen Spiels schon längst tot und auch alle anderen Menschen sind durch den Meteoriten passé. Wie sich herausstellt, ist unser kopiertes Gedächtnis die einzige Hoffnung, die Arche und ihre kopierten Seelen noch loszuschicken. Selbst die Wissenschaftlerin Catherine, die uns im Laufe des Spiels mit Rat und Tat durch die Unterwasserwelt lotst, ist tot und nichts weiter als ein Sammelsurium von in Nullen und Einsen festgehaltenen Denkprozessen. Warum überhaupt das Spiel weiterspielen? Welcher Schimmer am Horizont soll uns dazu antreiben? Sicher, wir wollen wissen, wie die Geschichte weitergeht, aber zu welchem Zweck? Als Videospieler ist man es gewohnt Welten zu retten. Die Erhaltung der menschlichen Spezies wird schließlich auch von Catherine als die Aufgabe des Spielers beschrieben. Aber tun wir das wirklich? Was wir tatsächlich tun, ist einen hilflosen Schrei in den Äther aussenden, dessen Hilfslosigkeit im Laufe der Geschichte sogar von Simon selbst thematisiert wird.

 

Wir wissen, dass wir uns um etwas Irreales bemühen, dass die Versionen der Welt und der Menschen innerhalb der Arche nichts weiter als Illusionen sind. Aber die Erde ist nunmal zerstört. Die Menschheit vernichtet. Diese Hebel lassen sich von uns nicht mehr zurückstellen. Es ist eine sehr deprimierende und verstörende Welt, die „Soma“ abbildet und präsentiert. Je weiter voran man im Spiel dringt, desto weniger hat man eigentlich den Antrieb fortzufahren (zumindest war dies bei mir der Effekt), aber die Neugier, zu erfahren, ob es möglicherweise doch noch ein Happy-End, eine Rettung für unseren Helden und die Probleme der Welt gibt, treibt uns weiter an. Und schließlich gelangen wir an den Punkt, über den ich schon die ganze Zeit reden möchte. Nun sitzen wir also mit Simon im großen Kontrollsessel der Raketenabschuss-Steuerung, richten das Rohr aus, transferieren die Bewusstsein von Catherine und uns in die Arche, in einem letzten, verbittern Kampf gegen die Zeit. Wir drücken auf den Knopf der Zündung: Und sitzen immer noch im Sessel, während wir beobachten, wie das Produkt all unserer angesammelten Arbeit sich durch das dichte Wasser hinaus in Richtung den Himmel kämpft.

Obwohl wir es wussten, haben wir es, exakt wie Simon, nicht wahrhaben wollen. Ein kompletter Transfer ist nämlich nicht möglich, was wir in die Arche geschickt haben ist lediglich eine Kopie unserer Selbst. Plötzlich macht sich noch mehr Panik breit, es wird klar, dass wir hier eine Märtyrer-Aktion begangen haben, jedoch ohne in voller Klarheit über die Konsequenzen gewesen zu sein. Zu sehen, wie Simon schließlich wutentbrannt auf den Konsolen rumhaut, hat mich ehrlich gesagt schwer mitgenommen, denn ab hier wird klar, dass es für ihn keine Hoffnung gibt, er selbst verdammt ist, sein restliches Leben innerhalb der Unterwasserstation zu verbringen, bis er elendig und einsam verendet auf diesem, nun komplett leeren Planeten. Schließlich geht auch noch das letzte, uns umgebende Licht aus, wir hören ein finales „Catherine?“ und werden in die Credits geleitet. Selten hat mich ein (vermeintliches) Ende eines Spiels so mitgenommen und fassungslos dasitzen lassen. Die Konsequenz, mit der diese finale Idee umgesetzt wurde traf mich wie ein Vorschlaghammer und hinterließ eine dicke Beule.

Das Ende ist nicht das Ende, ist nicht das Ende, ist nicht…
 

Doch war dies nicht das endgültige Ende. Nach den raschen Credits finden wir uns plötzlich wieder in einer uns unbekannten Höhle. Nach schnellem Durchlaufen finden wir den Ausgang, der uns eine wunderschönes, grünes Waldgebiet mit Bächlein präsentiert, welches in diesem Moment einen unfassbar starken Kontrast zu all dem dunkel, grau, und Düsterem bietet, das wir die letzten 8 Spielstunden zu sehen bekommen haben. Uns wird klar: Dies muss wohl die Arche sein, die wir ins All geschossen haben. So laufen wir weiter, bis plötzlich eine große Wasserfläche unseren Weg begrenzt und wir Catherine begegnen, die am Ufer bereits auf uns wartet. Im Hintergrund kann man eine Stadt erkennen, die sich über den Horizont erstreckt, das Bild wird schwarz, Ende.

Irgendwie also doch noch ein Happy-End, oder? Nicht so ganz. Immerhin wissen wir, dass der Simon den wir 8 Stunden gespielt haben, wahrscheinlich gerade seinen Todeskampf, weit weg auf einem ehemals blauem Planeten, unter Wasser ausführt. Gleichzeitig ist unsere aktuelle Simon-Version an einem Ort, den man geradezu als paradiesisch bezeichnen könnte. Auf eine gewisse Art und Weise sind wir also doch noch „gerettet“, zusammen vereint mit Catherine, der Frau, die wir im Spielverlauf so lieb gewonnen haben, in einer Welt, die es eigentlich gar nicht gibt, in einer Kapsel, die sich in diesem Moment irgendwo durch die weiten Strecken des außerirdischen Nichts begibt. Es ist ein trauriges Bild, das hier gezeichnet wird, dessen einzige Kompensation darin bestehen zu scheint, sich mit dem Fiktiven, der perfekten Illusion der Wirklichkeit anzufreunden. Unter dem Strich ist „Realität“ nämlich ganz offensichtlich vor allem eins: Das, was wir selbst daraus machen.

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