In 1000 Komplettierungen durch das Leben

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich liebe es ja, Listen zu führen. Angefangen bei den eher unbeliebteren To-Do-Lists (die tatsächliche Erledigung jener Aufgaben nicht mitinbegriffen!) bis hin zu sorgfältig niedergeschriebenen Aufzählungen von Filmen, die ich noch schauen, Spielen, die ich noch spielen oder Artikeln, die ich noch schreiben möchte. Oftmals erfüllt mich dabei das Schreiben und Konzipieren dieser Listen auf eine ähnliche, manchmal sogar stärkere Art und Weise wie das Abhaken der einzelnen Elemente.

Dank des Internets weiß ich zumindest, dass ich mit meiner Vorliebe für das Verfassen von auf Hobbythemen beschränkten To-do-Listen mit dem finalen, am Horizont türmenden Ziel, diese abzuschließen, nicht alleine auf weiter Flur stehe. Im Gegenteil, es bedarf nicht sonderlich viel Knowhow über die Netzkultur, um festzustellen, dass das Web geradezu besessen von Listen ist. Je mehr Möglichkeiten der Komplettierung, desto besser.

In einer Zeit, in der die Beschleunigung unseres Alltags immer schneller voranschreitet, die zu erledigenden Dinge pro Zeiteinheit welche wir uns selbst als Ziel setzen immer mehr werden und das Netz uns eine Sehnsucht nach all dem Vorlebt, was wir im Leben noch konsumieren und erledigen müssen/wollen bevor wir irgendwann abtreten, scheint es oft immer schwieriger, Schritt zu halten.

„100 Bücher die man gelesen haben muss“, oder „1000 Klassiker die man gesehen haben muss, bevor man stirbt“ – Aufzählungen wie diese lassen sich im Netz vielerorts finden. Doch während man selbst noch mit dem Aufholen beschäftigt ist, hält auch die Produktion weiterer, den digitalen Hype-Kaskaden des Internets zufolge unverzichtbarer „Must Haves“ nicht still. Ich habe mittlerweile ehrlich gesagt wirklich Probleme, die aktuellsten von Netflix produzierten Serien zu nennen – weil ich noch immer dabei bin, den Backlog der vergangenen Monate aufzuholen.

Symbolbild. 

Dennoch hindert mich dies meist nicht daran, meine Watch- und Wishlists immer weiter auszubauen, sie zu vielen kleinen Raupen Nimmersatts zu entwickeln, die mehr Inhalte in sich vereinen, als ich je nachholen könnte. Meine Listen und ihre ursprünglichen Absichten, sie zu finalisieren, entpuppen sich letztendlich nur als die ewige Karotte, die man sich selbst vorhält, im Wissen, dass man jenes Ziel der Komplettierung nie erreichen wird. Die „1000 Klassiker die man gesehen haben muss, bevor man stirbt“-Liste werde ich sehr wahrscheinlich mit ins Grab nehmen. Vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht.

Die Popularität solcher Listen und der mitschwingende Stress aufgrund des regelmäßigen Ohnmachtsgefühls ob der nicht zu bewältigenden Masse an Konsumgütern und Dingen, die wir toll finden, aber niemals alle in unseren Zeitplan bekommen werden, entspringt unweigerlich der momentanen Ökonomisierung unserer Zeit. Wir hören Podcasts und Spielen gleichzeitig, weil unsere Zeitquanten nicht mehr ausreichen, um erst das eine und dann das andere zu machen. Was nicht unmittelbar im Zeitpunkt des Geschehens konsumiert wird, verliert an Relevanz. Ich habe übrigens immer noch nicht die zweite Staffel von Stranger Things gesehen. Vielleicht ist diese (zugegebenermaßen unabsichtliche) Verweigerung des Hype-Diskurses ebenfalls gar nicht so schlecht.

Wer sich für das Phänomen des beschleunigten Lebenstempos unserer Zeit interessiert, dem seien die Werke des Soziologen Hartmut Rosa ans Herz gelegt, insbesondere das Buch Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Quelle: Wikipedia (CC-BY-SA 4.0)

Während der ganzen Zeit, in der ich diesen Text schreibe, habe ich übrigens eine Aussage meines Anglistikprofessors im Kopf, welche mich erst dazu gebracht hat, dieses Thema für die Blogparade von Schraeglesen mit dem Thema „Ende“ auszuwählen. In einer Vorlesung über Shakespeares Romantics und Poems (ich entschuldige mich für die klischeehafte Kurswahl) sprach dieser (also nicht Shakespeare, sondern mein Professor) über das World Shakespeare Festival und den fast schon klinisch auffälligen Zwang nach Komplettierung, was die dortige Zielsetzung, aller 37 Stücke des Kultautoren aufzuführen, anging. Die Vorstellung dieser Vervollständigung, vor allem im Sinne jener „100 Things you need to have done before you die“-Listen, empfand der Professor schließlich als „ungesund“, denn nach dem Abschließen solcher Listen, wäre schließlich „nur noch eine letzte Sache übrig, die es zu erledigen gäbe“. Ein treffenderes Zitat zu diesem Thema habe ich glaube ich noch nicht gehört.

 

Dieser Beitrag ist Teil der Blogparade (#schraegesEnde) von Schraeglesen.de

Weitere Beiträge von #schraegesEnde:

Ende? Anfang (schraeglesen)

Traumfänger mit losem Ende (schraeglesen)

Ende gut, alle tot. – Wie Sequelism gute Geschichten zerlegt (Geekgeflüster)

12 Kommentare

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert