In letzter Zeit gab es eine Frage, die mich immer wieder aufs Neue beschäftigt hat – „immer wieder aufs Neue“ bedeutet in diesem Fall, dass ich ihr auch nur schwer entgehen konnte. Der Grund? Die nicht aufhören wollende Flut an Beiträgen, Diskussionen und Meinungen aus dem korrespondierenden Themenkosmen, Skandale, Echauffierung, hitzig geführte Debatten und all dem scheinbar (so zumindest meine These) zugrundeliegend: Ein hochinteressantes Phänomen, dass sich nicht nur an den Reaktionen zu diesem speziellen Fall, sondern auch gesamtgesellschaftlich erkennbar zu machen scheint.
Wo setzt man bei einem so hochkomplexen Thema am besten an? Vielleicht damit, euch erstmal verständlich zu machen, um was es mir eigentlich geht. Weinstein, Spacey, #metoo und in jüngster Zeit auch, obwohl aus einer völlig anderen Ecke her stammend, die Kingdom Come: Deliverance Debatte. Sie alle teilen, wenn auch auf dem ersten Blick fundamental unterschiedlich, Gemeinsamkeiten. Eine moderne Form der Auseinandersetzung mit Produktionshintergründen sowie den Taten und Weltbildern der jeweiligen Künstler, als auch die dadurch immer wieder aufkehrenden Fragen bezüglich der Trennung von Künstler und Kunst.
Auch wenn die aufgezählten Fälle in ihren individuellen Abläufen und Implikationen nicht in einen gemeinsamen Topf zu werfen sind, so zeichnen die daraus resultierenden Reaktionen oft ein ähnliches Bild ab. Beiträge über entsprechende Skandale werden geteilt mit dem Ziel, für Aufmerksamkeit und Aufklärung innerhalb der Gesellschaft über entsprechende Personen/Produzierende zu sorgen um das Konsumbewusstsein in einer Weise zu prägen, die nicht selten den bewussten Verzicht als Ergebnis hat, da man Person X aufgrund von Verstrickung in Problematik Y nicht monetär unterstützen möchte. So weit so gut. Doch ist es hier tatsächlich weniger die Frage nach der Trennung zwischen Kunst und Künstler, die ich spannend finde.
Diese Frage selbst ist bekannterweise bereits ein alter Hut im Literatur- und Kulturbereich. Theoretiker wie Roland Barthes, Michel Foucault oder auch Umberto Eco beschäftigten sich bereits vor Jahrzehnten mit Autorentheorien. Im Filmbereich wurde das Thema vor allem durch das französische Filmmagazin Cahier du Cinema in den 50er Jahren angestoßen und im Zuge dessen der beinah schon eine romantische Vorstellung der künstlerischen Arbeit vermittelnde Begriff des Auteurs geprägt.
Interessanter als aus einer künstlerischen Perspektive heraus die Frage zu stellen, wie viel Produzent im Produkt wieder zu finden ist, erschien mir folgende Frage: Wieso gerade jetzt? Recht offensichtlich scheint schließlich, dass entsprechende Debatten Produkte einer vor nicht allzu langer Zeit entstandenen Denkweise sind und gerade durch die sehr aktuelle #metoo Bewegung momentan dabei sind, ein neues Bewusstsein zu schaffen, ein Zeitalter neuer Stufen der Transparenz und Aufklärung. Im Falle eines Kingdom Come: Deliverance muss zwar zum einen die Pionierarbeit in Sachen Aufmerksamkeitserzeugung von Personen wie lepetitcapo gelobt werden, aber auf der anderen Seite auch das scheinbar riesige, mittlerweile vorhandene Interesse der Öffentlichkeit an solchen „neuen“ Problematiken erwähnt werden.
Denn machen wir uns nichts vor: Daniel Vávra ist mit ziemlicher Sicherheit nicht die erste Person mit fragwürdigen Eigenschaften die ein Spiel produziert hat und er wird auch nicht die letzte sein. Dass gerade jetzt Aussagen bezüglich der Herangehensweise an sein Spiel sowie über seine eigene Person derart kritisch beäugt und lautstark kommentiert, kritisiert und völlig zurecht hinterfragt werden, ist denke ich kein Zufall.
Jetzt die Kurve zum Thema Umweltbewusstsein zu schlagen, wirkt vielleicht auf den ersten Blick ein wenig seltsam, doch bin ich überzeugt, dass hier unbestreitbare Ähnlichkeiten zu finden sind. Wir befinden uns inmitten weitreichender zivilgesellschaftlicher und demokratisierender Umgestaltungsprozesse. Menschen übernehmen Strukturbildungen im Zwischenbereich von Staat, Markt und Privatsphäre mehr und mehr selbst in die Hand und setzen sich für Themen, die gesellschaftlich als wichtig erscheinen, mit einer Non-Profit Haltung ein. Das Konsumbewusstsein hat sich grundlegend geändert. Wir boykottieren Marken, die Menschen zu unmenschlichen Verhältnissen arbeiten lassen, wir versuchen weniger bis gar kein Fleisch zu essen, wir interessieren uns dafür, woher unsere Lebensmittel kommen und vertrauen wieder mehr auf den Bio-Bauer aus der Provinz, als auf die billigere und weniger transparente Variante aus dem Handel.
Dieses zivilgesellschaftliche und umweltbewusste Engagement in Verbindung mit den immer einfacheren Möglichkeiten des medialen, freien und demokratischen Austausches ist es denke ich, welches auch vor der Kulturbranche nicht Halt macht und in Fällen wie den persönlichen Boykotten von beispielsweise Spielen von Daniel Vávra oder Filmen mit Kevin Spacey gerade zum Tragen kommen. Es besteht ein Informationsinteresse, ein Aufklärungsinteresse, ein Interesse zu wissen, woher das Produkt kommt, dass ich gerade konsumiere und ob diese Hintergründe ethisch mit den eigenen Prinzipien und Moralvorstellungen zu vereinen sind. Im Endeffekt lautet die Frage am Ende des Tages: „Ist Kingdom Come: Deliverance eigentlich bio?“
Diese Entwicklung inmitten deren wir uns befinden wirft viele interessante Fragen bezüglich der Zukunft des Kulturjournalismus auf. Gerade im Bereich des Spielejournalismus wird mangelnde Politikbetrachtung der Mainstream-Spielepresse immer wieder als Kritikpunkt vorgeworfen und auch andere Formen der Kulturkritik, beispielsweise die Filmkritik, haben (soweit ich das im Blick habe) in der Vergangenheit eher selten den Fokus auf die strukturelle Darlegung ideologischer und wertehafter Eigenschaften der Kulturproduzierenden gelegt. Wenn dieses gesellschaftliche Interesse an genau solchen Fakten und Aufklärungen jedoch bestehen bleibt, und davon ist auszugehen, wie wird sich dann der Kulturjournalismus an diesen neuen Bedarf anpassen?
Da man ja bekanntlich aufhören soll, wenn es am schönsten ist, verlasse ich euch genau mit dieser abschließenden Frage, zu der ihr eingeladen seid euch selbst Gedanken zu machen und mir diese, wenn ihr denn mögt, auch gerne in der Kommentarspalte mitteilen könnt. Eure Meinung zu diesem Thema (wie natürlich auch zum Text und Thema als solchen) würde mich sehr interessieren! Und wenn nicht, dann bedanke ich mich zumindest dafür, dass ihr bis hier hin gelesen habt!
Spannende Beobachtung(en)! Spannend auch deshalb, weil ich beim Lesen automatisch daran denken musste, dass einmal das, was du hier beschreibst, ja tatsächlich nicht auf ein Medium beschränkt ist, sondern auch umgekehrt sozusagen die „Gegenbewegung“ mit einem ganz extremen Rückzug ins Private und der ständigen Betonung, etwas müsse ja nur Spaß machen/unterhalten und der Künstler sei ja sowieso egal, in allen Medien existiert. Im Gaming wird das öfter mal auch thematisiert bzw. schwielt das ja nach wie vor als alter Konflikt, aber mir fällt das auch immer wieder sehr krass bei Buchbloggern etc. auf. Die Streitereien drehen sich um unterschiedliche Dinge und die „Parteien“ sind etwas anders verteilt, aber der Mechanismus ist derselbe.
Stimmt tatsächlich, diese „Gegenbewegung“ hätte ich vielleicht auch noch erwähnen sollen^^ Am Ende des Tages bleibt es zwar jedem selbst überlassen, wie viel „politischen Kontext“ er/sie beim Medienkonsum miteinbezieht, aber abhängig von der jeweiligen Debatte ist es manchmal vielleicht nur sehr schwer möglich, einfach nur „blind“ zu konsumieren und alles andere auszublenden.
Oft habe ich aber auch das Gefühl, dass diese trotzige „Gegenbewegung“ beinahe schon aus Protesthaltung denjenigen gegenüber funktionieren soll, die in ihren Berichten und Kritiken auf mögliche Missstände aufmerksam machen. Quasi von Menschen, die sich „ihren Spaß nicht verderben“ lassen wollen und dann erst recht auf Durchzug schalten.
„Diese Entwicklung inmitten deren wir uns befinden wirft viele interessante Fragen bezüglich der Zukunft des Kulturjournalismus auf. Gerade im Bereich des Spielejournalismus wird mangelnde Politikbetrachtung der Mainstream-Spielepresse immer wieder als Kritikpunkt vorgeworfen“
Gerade in der Weiterentwicklung des Umgangs mit Spielen als Medium oder eben Kunst anstatt als Produkt ist das wichtig. Da sollte es dann eben mal darum gehen, in Interviews kritische und vielleicht sogar unangenehme Fragen zu stellen. In den meisten Entwickler Interviews der großen deutschen Videospielpresse verkommt der eigentliche investigative Auftrag eines Interviews zur reinen Werbebühne für die Entwickler.
Für einen wirklich investigativen und nachhakenden Journalismus, der auch mal so etwas wie die Reportagen eines Jason Schreiers bei Kotaku hervorbringt, gibt es hier auf jeden Fall noch Spielraum, da hast du recht. Dafür braucht es aber zum einen das Geld, die Kontakte und vor allem die Zeit (zudem vielleicht auch noch eine distanziertere Haltung zum Marketing- und PR-Apparat der Studios). Ich glaube, mit Abo-Modellen wie sie The Pod, Insert Moin, oder auch Gamestar mit ihrem Plus-Angebot nutzen, bewegen wir uns da aber auf jeden Fall schon einmal in eine richtige Richtung. Bleibt spannend zu sehen, was sich daraus noch alles entwickelt!