Wenn hochrangige deutsche Politiker „Otaku-Terrorismus“ als neue Form des Rechtsextremismus bezeichnen und davon sprechen, dass die „Gamer-Szene“ stärker in den Blick genommen werden müsse, damit sich feststellen ließe, wann es sich noch um Spiel, um Simulation oder doch schon um verdeckte Anschlagsplanung handele, dann ist das in der Regel keine gute Basis für eine aussichtsreiche Debatte.
Dass ich mich allerdings in dieser Einleitung jedoch selbst auf diese tausendfach medial geteilten und unter lautstarker Widerrede angefochtenen „Kampfvokabeln“ fokussiere – und beispielsweise außer Acht lasse, dass Horst Seehofer einen Tag nach seinen Äußerungen über die „Gamer-Szene“ Rechtsextremismus auf allen gesellschaftlichen Plattformen in einem weitaus klareren Tonfall den Kampf ansagte – deutet womöglich gleichermaßen auf ein viel größeres Gesamtproblem hin: Ein Problem, das sich durch seine verhärteten Fronten und verkürzten Auseinandersetzungen auszeichnet.
Videospiele stehen seit jeher in einem komplizierten Verhältnis zum gesellschaftlichen Scheinwerferlicht, das seit Ur-Tagen auf dem noch jungen Medium lastet. In Deutschland wurde diese schwierige Beziehung mit der Genese des Begriffs der „Killerspiele“ in besonderem Maße strapaziert, und damit einer Debatte ausgesetzt, die noch heute ihre hinterlassenen Spuren offenbart.
VideospielerInnen sahen sich in der Position des Underdogs. Als Falsch-Verstandene, als potentielle Gewalttäter und als Sündenbock gesamtgesellschaftlicher Probleme, als Spielball der Politik und Opfer der verallgemeinernden Phrasendrescherei. Die Aussage, dass Videospiele mittlerweile in der „Mitte der Gesellschaft“ angekommen seien, lässt sich ohne ironischen Unterton heute nicht mehr sagen, ist dieser Satz doch Zeuge für den verzweifelten Anerkennungsversuch eines missverstandenen Mediums und dessen befürwortenden Enthusiasten.
Und doch hat sich seit den frühen 2000ern tatsächlich einiges geändert. Spiele haben sich im gesellschaftlichen und künstlerischen Raum breit gemacht, werden wissenschaftlich untersucht, didaktisch eingebunden und mit staatlichen Geldern mitfinanziert. Die Verteidigungshaltung der VideospielerInnen schien diesen also auf lange Sicht recht zu geben. Sie bewahrten sich ihre Liebe zum Medium Spiel und sahen zu, wie sich die Killerspiel-Anklage scheinbar von selbst auflöste. Das Spiel als ergiebiges und sinnstiftendes Produkt kreativer Leistungen schien gesiegt zu haben.
Auch wenn heutzutage die Existenzberechtigung von Spielen debattiert wird, bedient man sich gerne all der positiven und gesellschaftlich „hilfreichen“ Aspekte des Mediums. Zum Beispiel der Tatsache, dass Spiele im therapeutischen Bereich stattfinden, oder dass Serious Games im Sektor der politischen Bildung für Aufklärung sorgen. Im Sinne einer Kosten-Nutzen-Rechnung für eine „stabile“ Gesellschaft wurden Spiele schon immer auf ihre eigene funktionale Rolle abgeklopft. Der Killerspiel-Vorwurf sorgte zwangsläufig dafür, dass im kommunikativen Konflikt gegen eine pauschalisierende Politik zu verteidigenden Argumenten gegriffen wurde, die dem Spiele-Image im Sinne eben dieser Rechnung zugutekamen.
Die politischen Aussagen, die dem Anschlag in Halle nun eine Verbindung zu Videospielen und ihren Communities unterstellten, reaktivierten den gleichen Verteidigungsreflex, der bereits in Zeiten der Killerspiel-Diskussion zum Tragen kam. Doch finden wir uns in völlig anderen gesellschaftlichen Verhältnissen wieder, als noch vor 15-20 Jahren. Während die Politik weiterhin Schwierigkeiten damit hat, differenzierte Meinungen über den neuen, aktuellen Status von Spielen zu treffen, ist es gerade die Aufgabe einer spielenden und informierten Zivilgesellschaft, einen kritischeren und aufgeklärteren Blick auf das Medium und seine Verflechtungen zu werfen.
Beobachtet man jedoch beispielsweise auf Twitter, in welcher argumentativen Weise Positionen in diesem Konflikt eingenommen werden, muss man sich zwangsläufig die Frage stellen, wo genau das gesellschaftliche Interesse an einer differenzierteren Auseinandersetzung mit Videospielen abgeblieben ist. Ja, die vermeintlich unkritische mediale und politische Darstellung des Themas ist ein Problem; allerdings eines, dem man nicht mit der reaktionären Verteidigungshaltung im Geiste der Killerspiel-Debatte, sondern mit dem selbstbekräftigten Instrument der differenzierten Betrachtung begegnen sollte.
Ganz nach Jürgen Habermas braucht es also einen vernünftigen Diskurs. Einen Diskurs, bei dem in erster Linie mit einem kritischen (aber nicht richtenden) Blick auf die Ausdifferenzierungen einer Spiele- und Internetkultur geschaut wird. Und darauf, inwiefern diese in irgendeiner Weise mit radikalen Tendenzen, Rechtspropaganda oder sonstigen Gefährdungen wechselwirken, um festzustellen, inwiefern sich daraus Handlungsmöglichkeiten ableiten lassen, um dem entgegenzuwirken.
Ein solcher Diskurs benötigt aber auch Orte, an denen er gedeihen kann. Die Dynamiken auf Twitter scheinen mir diese Bedingungen jedoch nicht ausreichend zu erfüllen. Zu viele Faktoren spielen hier eine Rolle, die nicht eine langfristige Diskussion anstreben, sondern nach kurzfristigen Bestätigungen suchen. Je ironischer, verkürzter, pikant formulierter und eindeutiger einer „Diskurs-Front“ zuordenbar, desto besser. Die zugrundeliegende Gratifikations-Struktur Twitters, die mit Likes und Retweets jene Postings auszeichnet, die dieses Spiel am besten beherrschen, hat eine kommunikative Ökonomie geschaffen, die einem modernen demokratischen Diskurs bisweilen im Weg steht.
Natürlich hat Twitter die Verkürzung von Inhalten nicht erschaffen. Doch setzt die Plattform dem Denken und Schreiben in punchline-fähigen Kurzzusammenfassungen auch nichts entgegen, sondern befeuert dieses nur weiter. Und so führen viele Tweets, auch jene, die mit einem einleitenden „Thread“ beginnen, zu wenig oder nichts, da sie alle den Mechanismen einer zugrundeliegenden Ordnung folgen, bei der eigentlich alles genau so bleiben soll, wie es immer war.
Ich selbst glaube daran, dass die kommunikative Sprache unser stärkstes Instrument für Erkenntnisse und Wandel ist. Und dieser individuelle sprachliche Einsatz lässt sich grundlegend mit einer simplen Frage einleiten: „Was möchte ich erreichen?“ Das punchline-fähige Schubladen-Tweeting, das nur in seltenen Fällen auf andere Plattformen ausgelagert und im Verbund tiefgreifender bedacht wird, hat meist nur einen Effekt: Es verhärtet die bereits bestehenden Fronten nur noch weiter. Die einzelnen Parteien wissen genau, welche kommunikativen Äußerungen ihnen die Bestätigung der eigenen digitalen Peer-Group verschaffen. Twitter-Kommunikation ist nicht auf Schlichtung und auf Lösungen aus, sondern auf die Affirmation des status quo, auf Selbstbestätigung und Belohnung statt auf gesamtthematische Betrachtungen in differenzierter Atmosphäre.
Was vom Thema Videospiele und rechter Gewalt tatsächlich Bestand haben wird, wird sich erst in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten und Jahren zeigen. Es bleibt viel Raum – und viel Zeit – um sich dem ganzen Themenfeld, das mit Halle neu aufgeworfen wurde, auch in Zukunft ausgiebig zu nähern. Anschließend an diesen Text stellt sich für mich beispielsweise die Frage, ob wir denn wirklich keine besseren digitalen demokratiebildenden Diskursplattformen haben als Twitter, und falls nicht, inwiefern wir uns diese schaffen können. Und ausgehend vom tatsächlich aufgeworfenen politischen Vorwurf lassen sich zahlreiche Untersuchungen und Analysen anstellen (die teilweise auch schon existieren), die sich beispielsweise tiefergehend mit dem Nazi-Problem auf Steam und Co., mit der Wirkungsforschung von Spielinhalten oder auch dem Einfluss von Videospiel-Ästhetik und Gamifizierung auf andere kulturelle Räume und Praktiken beschäftigen. Viel Entfaltungsraum also für einen hoffentlich von allen Seiten kritischen und – ein letztes Mal Habermas, ich schwöre es – herrschaftsfreien Diskurs.
Weitere Beiträge zur Debatte:
Die Terror-Influencer – und wo sie gedeihen (SPIEGEL ONLINE)
Rechter Terror als Event (taz)
Rechtsextremer Terror im Netz: „Er hat seinen Highscore verfehlt“ (Deutschlandfunk)
Was das Attentat mit Videospielen zu tun hat – und was nicht (SPIEGEL ONLINE)
Der Troll-Terrorist (SPIEGEL ONLINE)
Yes, all gamers. (Geekgeflüster)
Was Spieler gegen die Gamifizierung des Terrors tun können (Deutschlandfunkkultur)
Auf extreme Weise Tabus brechen (Deutschlandfunkkultur)
Hat Gaming ein „Nazi-Problem“? (radio FM4)
Die Gefahr des gamifizierten Terrors (Tagesspiegel)
Talk | Vom Terror zur Gaming-Szene: Killerspiel-Debatte 2.0 ? (4players)
Seehofer und die Gaming-Szene: Ein Sieg für den Täter von Halle (Deutschlandfunkkultur)
„Kinder treffen unkontrolliert auf extremistische Weltbilder“ (Tagesspiegel)
Für mich besteht das Problem nicht bei Twitter. Twitter ist für mich genauso geeignet oder ungeeignet wie jede andere Plattform. Das Problem besteht für mich darin, dass nur Gruppen miteinander diskutieren, die mehr oder weniger der gleichen Meinung sind. Hier und da gibt es vielleicht mal eine kleine Debatte, aber am Ende ist man doch der gleichen Meinung. Was fehlt ist der Diskurs zwischen den Gruppen. Deswegen können auch noch so viele Texte geschrieben werden, sie werden von Leuten wie mir gelesen, die ohnehin schon eine differenzierte Meinung zum Thema Videospiele und allem was damit zu tun hat, haben.
Und für diesen Diskurs bräuchte es eigentlich die großen Namen der Szene, die sowohl nach Außen hin zeigen, dass Videospiele mehr sein können, als nur Ballerspiele. Sie müssen aber auch kritisch gegenüber der eigenen Branche sein und der Community. Doch da habe ich meine Zweifel, dass das wirklich passiert. Es ist ja auch viel einfacher, gegen andere zu sein, als etwas gegen die Probleme vor der eigenen Haustür zu machen. Das zeigt die internationale Politik ja auch sehr gut.
Danke für den Kommentar, Lenny! Ich stimme dir da auf jeden Fall zu, dieser Filterblasen-Effekt, durch den die verschiedenen Meinungen/Gruppen nie so wirklich zueinander finden (und wenn doch, dann oft nur in sehr konfliktreicher Weise), ist für mich auch einer der Knackpunkte. Daher frage ich mich, wie man eine Plattform vielleicht gestalten könnte, um solche Probleme so gut es geht auszumerzen und das unbeeinflusste Diskutieren mehr in den Vordergrund zu stellen. Oder eben, und das wäre die andere Auslegung, inwiefern sich die Einstellungen der „Diskursteilnehmer“ zum Diskurs und seinen „Verhaltensweisen“ ändern müsste, um diesen negativen Effekten entgegenzuwirken.
Egal auf welcher Plattform eine solche Diskussion stattfindet, sie muss moderiert werden. Und diese Moderation muss von Leuten geführt werden die von allen Gruppen akzeptiert werden. Sobald eine gewisse Parteilichkeit zu erkennen ist, kannst du es vergessen. Deshalb meine ich, dass es in dieser Thematik die großen Namen braucht. Egal ob es jetzt YouTuber, Blogger oder Leute aus der Spielepresse sind.
Nur leider sind viele dazu nicht in der Lage oder wollen es schlichtweg auch einfach nicht.