Über die post-ironische Aufrichtigkeit von Ted Lasso

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Wenn Kulturprodukte einen Einfluss auf uns ausüben, indem sie unser Weltbewusstsein stärken, unsere Empathiefähigkeit schärfen und dafür sorgen, dass wir auch uns selbst besser kennen lernen, dann lässt sich die Figur des Ted Lassos vielleicht als moderner Apostel eines solchen universalistischen Humanismus begreifen. Dieser tritt in der gleichnamigen Serie allerdings nicht als klischeebehafteter Versöhner der Kulturen auf, sondern als konkreter Mensch des 21. Jahrhundert, der sich mit einem unbeirrbaren Trotz und einer radikalen Menschenfreundlichkeit der zynischen Misanthropie unserer Zeit stellt.

Rebecca: “Do you believe in ghosts, Ted?”
Ted: “I do. But more importantly, I believe they need to believe in themselves.”

Der zum viralen Internet-Meme avancierte American Football-Coach Ted Lasso kämpft um seine Ehe. Um seiner Frau Abstand und Entscheidungszeit zu geben, um über ihre gemeinsame Zukunft nachzudenken, zieht Ted nach London, um dort das Angebot wahrzunehmen, eine Fußballmannschaft zu trainieren – und das, ohne jegliche Ahnung vom Sport zu haben. Was er nicht weiß: Der einzige Grund seiner Berufung ins Herzen Englands ist der sehnliche Wunsch der neuen Besitzerin des Clubs Rebecca Welton, die Mannschaft in den Ruin zu treiben, da deren schleimiger Ex-Mann, dem der Verein viel bedeutete, sie pressewirksam mit anderen Frauen betrogen und verlassen hat.

Die Serie Ted Lasso, die unter anderem aus der Feder von Scrubs-Schöpfer Bill Lawrence stammt, ist im Kern eine Comedy, brilliert aber generell betrachtet nicht nur durch ihren leichtfüßigen Humor, sondern vor allem durch ihre makellosen Skripte, die kein Gramm zu viel haben und einen wunderbar angenehmen Rhythmus entfalten. Der Humor ist auf Zack, die Interaktionen zwischen den Figuren leichtfüßig und der Balanceakt zwischen Witz und Drama mehr als gelungen.

In der heutigen Zeit würde man Ted Lasso wohl als „feelgood“ oder „wholesome“ bezeichnen, als positive Gegenstimme zum monotonen Gesang medial verbreiteter Negativstimmung. Dies ist sicherlich auch das herausstechendste Qualitätsmerkmal von Ted Lasso, doch das, wofür ich die Serie in diesem Text im besonderen Maße loben möchte, geht nochmal über diesen Aspekt hinaus. Ted Lasso bietet nicht einfach eine positive Gute-Laune-Welt, sondern eröffnet mit ihrer Praxis der emotionalen Ehrlichkeit einen aktiven Gegendiskurs zu postmoderner Ironie und zersetzendem Zynismus.

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David Forster Wallace‘ Neue Aufrichtigkeit

In seinem Text “E Unibus Pluram: Television and U.S. Fiction” beschreibt Autor David Foster Wallace die postmoderne Methode einer sich ständig selbstbestätigenden Ironie in TV-Serien und in der Literatur der 90er-Jahre. Wo Ironie einst noch das Ideal verfolgte, die absurden und schädlichen Dynamiken unserer Gesellschaft zur Schau zu stellen, stellt Wallace gerade in der Nutzung von Ironie im Fernsehen der Neuzeit fest, dass sich das Medium die Kritik am eigenen Objekt (vor allem dem Vorwurf des exzessiven Konsums und der manipulierenden Werbung) selbst zu eigen machte.

Werbung begann, die eigene Banalität und suggerierte Verführungskraft als ironischen Metakommentar zu integrieren und Fiktion verstrickte sich in ein ebenso bodenloses, inhaltsleeres Spiel der Zeichen, in dem das intertextuelle Verweisen auf Andere zum eigentlichen Inhalt verkam, wodurch eine Ökonomie etabliert wurde, in der sich der Einzelne durch das beim Konsum angereicherte Wissen profilieren und von der Masse abgrenzen konnte: Er allein besaß nun das Vermögen, durch die vermeintliche Scheinheiligkeit der bloßen Oberfläche hindurchzusehen.

 

“For to the extent that TV can flatter Joe about “seeing through” the pretentiousness and hypocrisy of outdated values, it can induce in him precisely the feeling of canny superiority it’s taught him to crave, and can keep him dependent on the cynical TV-watching that alone affords this feeling. And to the extent that it can train viewers to laugh at characters’ unending put-downs of one another, to view ridicule as both the mode of social intercourse and the ultimate art form, television can reinforce its own queer ontology of appearance: the most frightening prospect, for the well-conditioned viewer, becomes leaving oneself open to others’ ridicule by betraying passe expressions of value, emotion, or vulnerability. Other people become judges; the crime is naivete. The well-trained lonely viewer becomes even more allergic to people.” (Wallace 180-181)

 

Von der postmodernen Dekonstruktion zum Mut zur Konstruktion

Wallace zeichnet ein düsteres Bild, in dem der Exzess der Ironie zu gegenseitigem Misstrauen führt und das Bekennen zur Ehrlichkeit ohne doppelten Boden geradezu eine Gefahr darstellt, Opfer eben dieses Misstrauens und Spotts zu werden. Den logischen Schluss und Ausweg aus dieser Entwicklung sah er in einer neuen (anti-)rebellischen Form der Fiktion:

 

“These anti-rebels would be outdated, of course, before they even started. Too sincere. Clearly repressed. Backward, quaint, naive, anachronistic. Maybe that’ll be the point, why they’ll be the next real rebels. Real rebels, as far as I can see, risk things. Risk disapproval. The old postmodern insurgents risked the gasp and squeal: shock, disgust, outrage, censorship, accusations of socialism, anarchism, nihilism. The new rebels might be the ones willing to risk the yawn, the rolled eyes, the cool smile, the nudged ribs, the parody of gifted ironists, the “How banal.” Accusations of sentimentality, melodrama. Credulity.“ (Wallace 193)

 

In ihrer Darstellung von Emotionalität und zwischenmenschlicher Tragik bildet die Serie Ted Lasso sowie die namensgebende Figur eben jene antirebellische Sentimentalität ab und stellt sich damit dem postmodernen Augenrollen, das Wallace in den 90ern beschrieb. Durch seine Präsenz und sein Handeln gelingt es Ted im Laufe der 10 Folgen, dass die Solidarität sowohl im Team als auch zwischen Team und Besitzerin Rebecca sowie zwischen Ted und den schwer zufrieden zu stellenden Fans spürbar wächst.

So nimmt beispielsweise der Zeugwart Nate allmählich die Rolle eines Coaches ein, da Ted dessen Expertise schätzt und sich nicht an gesellschaftlichen Normvorstellungen orientiert, in der ein jeder seinen vorurteilsbehafteten, fixen gesellschaftlichen Platz einnimmt. Als während eines Spendendinners Music-Act Robbie Williams spontan ausfällt, rekrutiert Ted den Straßenmusiker Cam, der kurzerhand die bleierne Atmosphäre des etikettierten Schlipstragens in eine hemmungslose Partystimmung verwandelt.

Ted Lasso schwelgt in solchen positiven Momenten und lässt uns teilhaben an der puren Freude, am reinen Altruismus, am grenzenlosen Vertrauen in das Gute im Menschen. Aber gleichzeitig verliert sich die Serie nicht im Optimismus als Allheilmittel jeglicher Probleme. Geerdet werden diese Momente ausgerechnet durch die strahlende Hauptfigur Ted selbst, dessen Ehe sich schließlich an einen unrettbaren Punkt und damit der Scheidung bewegt, was ihn in tiefe Verzweiflung bis hin zu einer Panikattacke führt. Diese wichtige Eigenschaft der Figur führt uns vor Augen, dass wir es hier nicht mit einer Überzeichnung, sondern mit einem Menschen zu tun haben, der trotz seines Talents zur positiven Beeinflussung im Beruflichen an seine eigenen Grenzen des Machbaren im Privaten stößt – und zwar mitunter aus ähnlichen Gründen, wie ein Textfetzen aus dem Munde Lassos vermuten lässt, in dem er andeutet, dass seine Frau nicht zu den größten Fans seines grenzenlosen Optimismus zählt.

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Keeley: I don’t want you to offer me a job just be
cause I was nice to you in the loo the other night.
Rebecca: Why not? Men give each other jobs in toilets all the time

Besonders interessant ist außerdem, dass neben der Figur Teds vor allem die Beziehungen zwischen zwei Frauen eine große Rolle spielt, und zwar zwischen der bereits genannten Besitzerin Rebecca und Keeley, der Freundin des arroganten Stürmers und Einzelgängers Jamie. Das Miteinander der beiden Figuren ist gezeichnet von gegenseitiger Unterstützung und gemeinsamer Krisenbewältigung; Keeley stärkt das Selbstvertrauen Rebeccas im Angesicht der zynischen Presseberichte über sie und ihren Ex, und Rebecca bietet Keeley einen Job als Brand Managerin an, um sie aus dem Schattendasein als Influencer-Spielerfrau zu befreien.

Durch die Figur des schleimigen Ex-Mannes von Rebecca behandelt die Serie zudem die Folgen von Gaslighting und veranschaulicht als Mittel der Bekämpfung von Abhängigkeits- und Minderwertigkeitsgefühlen zum einen die Kraft selbstbestätigender weiblicher Allianzen, als auch die Wirkung von Allyship in Form von Ted, der die trügerische, vermeintlich gentlemanhafte Oberfläche des Ex-Mannes erkennt und sich dieser gemeinsam mit Rebecca entgegenstellt.

Formen der Männlichkeit werden in Ted Lasso ebenso thematisiert, unter anderem durch Ted, dem das Siegen und der verbissene Wettkampf in seiner Aufgabe als Coach als zweitrangig erscheint und der seinen Fokus auf die Selbstentwicklung seiner Mannschaft legt. Sowohl Rebecca als auch Keeley treten zudem jeweils in männlichen Momenten der Schwäche als starker Gegenpol auf, zum einen während der Panikattacke und des Zusammenbruchs von Ted, zum anderen nach der finalen Auswechslung und dem damit besiegelnden Karriereende von Spieler Roy, dem es zunächst sichtlich schwerfällt, alleine mit dieser emotionalen Situation umzugehen.

„Be Curious, Not Judgemental“

Emotionale Aufrichtigkeit sowie der Weg hin zu dieser spielen wie beschrieben eine zentrale Rolle in der Serie, was auch deutlich wird am wiederkehrenden Motiv der Vergebung. So steht Rebecca eines Tages vor der unvermeidbaren Situation, Ted über ihren ursprünglichen destruktiven Plan für das Team aufzuklären. Statt Enttäuschung und Wut reagiert Ted, der an diesem Punkt bereits seine eigene Familien-Odyssey hinter sich hat, mit Verständnis für Rebeccas emotionale Reaktion in Folge ihrer Scheidung. Gleichzeitig steht Ted vor der Aufgabe, sich selbst zu verzeihen und seine eigene Scheidung nicht mit persönlichen Schuldzuweisungen zu erklären.

Dank all diesen Facetten, die Ted Lasso auszeichnet, lässt sich erkennen, dass es sich hierbei um mehr handelt als einfach nur eine Gute-Laune-Serie. Das Thema einer zynismusfreien, emotionalen Offenheit durchzieht die Interaktionen aller Figuren und vermittelt damit den Mut, sich auf eben diese einzulassen. Denn wie Wallace in seinem Essay schrieb, ist es eben dieser Mut, sich beispielsweise der Kritik der Melodramatik oder der Sentimentalität zu stellen, der es uns ermöglicht, dem endlosen Spiel der Zeichen, dem Credo, dass alles „nur ironisch“ gemeint sei, zu entkommen.

In einer Szene, in der Ted sich auf eine Dart-Partie mit hohem Einsatz gegen Rebeccas Ex einlässt, zitiert er ein paar entscheidende Worte von Walt Whitman und setzt sie in ein Verhältnis mit seiner eigenen Lebensgeschichte: „Be Curious, Not Judgemental“. Andere Menschen hätten ihn immer unterschätzt, bevor sie ihn überhaupt kennengelernt hatten, erzählt Ted. Lange habe er sich gefragt, was der Grund dafür sei, bis er darauf kam, dass sie alle so sicher und überzeugt von sich selbst und ihren vorgefertigten Werturteilen waren, dass sie gar nicht mehr auf die Idee kamen, der Welt mit Neugierde zu begegnen. Denn wären sie neugierig gewesen, hätten sie Fragen gestellt und nicht auf voreingenommene Antworten vertraut. Vielleicht sollten wir uns alle ein wenig mehr an Ted orientieren, und uns in einer Zeit, der es an Antworten nicht mangelt, wieder trauen, Fragen mit ernsthafter Neugier zu stellen – allem selbstsicheren Augenrollen zum Trotz.

 

 

 

Bibliographie: 
Wallace, David Foster. “E Unibus Pluram: Television and U.S. Fiction.” Review of Contemporary Fiction, vol. 13, no. 2, Summer 1993, pp. 151-194.

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