Zugegeben: Ich hatte bereits eine Menge Freude mit A Way Out, Hazelights 2018 veröffentlichten Gefängnisausbruchs-Koop-Adventure – vielleicht schon allein deswegen, da mir so spontan kein zweiter Titel einfallen würde, der in diese zusammengeklaubte Genre-Kategorie passt. Dennoch hätte ich nicht damit gerechnet, dass mich der neuste Streich von Josef Fares und seinem Stockholmer Studio dermaßen begeistern würde. Disclaimer: Ich befinde mich zwar noch vor dem Spielende, jedoch sind mir bereits einige Aspekte dermaßen positiv aufgefallen, dass ich spontan die Lust verspürte, eine Liste mit den größten Design-Lehren zu erstellen, die sich aus It Takes Two ziehen lassen.
1. Mach kürzer und achte auf dein Pacing!
Punkt eins beginnt mit einer Binsenweisheit, die ich beileibe nicht als Erster äußere – kürzere Spiele sind ein Segen. Im konkreten Anwendungsfall lässt sich allerdings feststellen, dass sich It Takes Two nicht nur durch seinen kurzatmigen episodischen Charakter eine gewisse Frische bewahrt, sondern dass das Pacing auch generell absolut grandios ist. Im Vordergrund der Entwicklung schien vor allem ein Dogma zu stehen: „Egal was ihr tut, der Flow hat oberster Priorität“. Sei es die gekonnte Abwechslung aus Jump-and-Run, Knobelpassagen und gelegentlichen Scharmützeln, die mehrstufigen, kreativ gestalteten Bosskämpfe, oder die gelungene Gratwanderung zwischen permanentem Gefordert-Sein und dem Ausbleiben von Frusterlebnissen; alles fügt sich reibungslos zusammen und treibt mir dabei ein seliges Dauergrinsen ins Gesicht.
Allgemein gesprochen lässt sich der Flow des eigenen Spiels nur dann gut einschätzen, wenn auch die empfundene zeitliche Erfahrung im Design nicht außer Acht gelassen wird. Bei einem Spiel, das Dutzende Stunden an Inhalt bietet, ein solches Gefühl für das eigene Pacing zu bewahren, wird jedoch zunehmend schwierig (als Negativbeispiele dienen für mich etwa die Last of Us-Titel). Damit möchte ich zwar nicht lange Spiele per se verurteilen, sondern fordere viel eher eine stärkere Inblicknahme der zeitlichen Erfahrung und eine möglichst lückenlos interessante Füllung eben dieser.
2. Kenne deinen Gameplay-Loop und aktualisiere ihn regelmäßig!
Womit wir bei Punkt zwei wären. Nicht nur die zeitliche Dynamik von It Takes Two schaffte es, mich zu begeistern; auch der Abwechslungsreichtum in den Herausforderungen, die das Spiel an einen stellt, ist auf einem durchgängig hohen Niveau. Wie oft lässt sich ein etabliertes Spielprinzip wiederholen, bis man gezwungen ist, es abzuändern oder neu zu kontextualisieren, um vor Eintönigkeit bewahrt zu sein? Wie schaffe ich ein Repertoire an Interaktionen, das sich auch über längere Spielphasen hinweg unverbraucht anfühlt? Es fällt einem nicht schwer, sich vorzustellen, wie ein schlechteres Spiel die Prämisse von It Takes Two umgesetzt hätte. Ein kurzer erzählerischer Abriss zur Einordnung: Wir spielen Cody und May, die Eltern von Tochter Rose, die, nachdem sie ihr Kind mit der Nachricht konfrontieren, dass sie kurz vor der Scheidung stehen, in den Körpern ihrer eigenen Handpuppennachbauten aufwachen.
Wie in Obsidians Grounded haben wir es also mit einer Spielperspektive zu tun, in der sich das einst Kleine zum Großen und das ehemals Große zum Gigantomanischen gewandelt hat. Als Designer könnte man sich allein auf diesen Effekt fokussieren, ein spielerisch durchschnittliches Plattformer Jump-and-Run mit dem ein oder anderen halbgaren Koop-Einfall produzieren und würde vielleicht schon damit ganz gut in der Spielepresse wegkommen. It Takes Two geht aber einige Schritte weiter und lässt mich sogar etwas empfinden, was in Spielen eher unüblich ist: Es lässt mich immer wieder den interessanten spielerischen Mechaniken hinterhertrauern, mit denen ich eben noch so viel Spaß hatte, die im nächsten Moment aber schon ausgetauscht wurden mit dem nächsten kreativen Einfall. Eine solche Kaskade an neuen Inhalten und Erlebnissen sieht man selten, doch zeigt sich hier, welchen Mehrwert ein zielgenauerer Einsatz einzelner Mechaniken und Gameplay-Loops bietet.
3. Gib mir neues und einzigartiges Spielzeug!
Für It Takes Two bedeutet das vor allem, dass mich einzelne Levelabschnitte mit immer neuen Gadgets ausstatten. Diese sind nicht nur elementar für die gemeinsame Bewältigung der Levels, sondern auch in ihrer Gestaltung wunderbar einfallsreich. Auf der Jagd nach einer mies gelaunten Werkzeugkiste bekommen wir beispielsweise Hammer und Nägel zur Hand, mit denen Druckplatten aktiviert oder freischwingende Plattformen festgenagelt werden können. Auch wenn man insgesamt nur wenig Zeit mit diesen Gadgets verbringt, sind die dahinterliegenden Mechaniken durchdacht und lassen sich niemals anmerken, dass sie schon bald mit dem nächsten Spielzeug ausgetauscht werden. Außerdem zeigt sich: Selbst in einem vermeintlichen Casual-Spiel müssen nicht mehrere Spielstunden und etliche Wiederholungen gleicher Abläufe in Kauf genommen werden, um grundlegende Spielmechaniken verständlich zu machen. Solange die Bildsprache der Interaktionsmöglichkeiten eindeutig ist – und das ist bei It Takes Two der Fall – können auch komplexere und abstrakte Mechaniken schnell verinnerlicht und in Transferleistungen innerhalb eines Spielabschnittes verwandelt werden. Als Sahnehäubchen bieten die Level in It Takes Two zudem etliche optionale Interaktionsmöglichkeiten und Minispiele am Wegesrand, die den ohnehin schon abwechslungsreichen Flow noch weiter aufmischen und die Erkundung der liebevoll gestalteten Welten weiter in den Fokus rücken.
Pointiertes Wiederholen
Was lässt sich aus all dem ableiten? Der Exzess einzelner Spielmechaniken ist zumindest für mich oft einer der Hauptgründe dafür, dass mich weniger gute Spiele oft schon nach kurzer Zeit anfangen zu langweiligen. Einen guten Gameplay-Loop zu kreieren, der abwechslungsreich ist und über viele Stunden hinaus nicht an Reiz verliert – ich denke beispielsweise an die Halo-Formel oder erfolgreiche Character-Action Games wie Devil May Cry – ist extrem schwierig. Ich würde, mit Blick auf die genannten Beispiele, auch tendenziell eher davon ausgehen, dass der Reiz an der exzesshaften Repetition einzelner Spielmechaniken oftmals besser mit Highscore-Jagden oder anderen extratextuellen Herausforderungen einhergeht, als mit Linearität und Story-Fokus. Umso wichtiger erscheint es mir, das Maß der Wiederholung der eigenen Spielmechaniken bis ins Detail zu analysieren und mit spielerischen Updates und Auflockerungen der eigenen Formel nicht zu sparen. Wenige Dinge erfüllen mich so sehr mit Freude, wie ein sichtlich hoher Aufwand für selbst kleine Ideen.
Ich durfte in It Takes Two für wenige Minuten einen Fidget-Spinner als Fluggerät zweckentfremden, und verdammt, ich habe es geliebt, und schon wenig später dem Abschnitt hintergeschmachtet. Für mich ist It Takes Two vor allem ein Plädoyer für spielerische Kreativität, für einen auf die absolute Spitze getriebenen mechanischen Abwechslungsreichtum, für ein stärkeres Bewusstsein im Designprozess für das wahrgenommene Zeitbewusstsein und das angemessene Maß der Repetition. Videospiele sind qua ihrer Materialität eine Aneinanderreihung von wiederholten Abläufen. Deswegen sind sie am Ende des Tages auch Computerprogramme und keine Filme. Trotzdem ließe sich durch einen pointierteren und künstlerisch wertvolleren Einsatz der eigenen mechanischen Wiederholungsschleifen viel gewinnen. Der eigentliche Zauber von Videospielen entfaltet sich schließlich nicht in ihrer Programmierung, sondern in ihrem Flow – der vollständigen Ausblendung der technischen Gebundenheit, dem in Spieleform gegossenem Gefühl von Freiheit. Und an dieser Freiheit mangelt es It Takes Two auf keinem Fall.