Die Akte Valve – Wohin des Weges, alter Freund?

I met a traveller from an antique land
Who said: — Two vast and trunkless legs of stone
Stand in the desert… Near them, on the sand,
Half sunk, a shattered visage lies, whose frown,
And wrinkled lip, and sneer of cold command,
Tell that its sculptor well those passions read
Which yet survive, stamped on these lifeless things,
The hand that mocked them, and the heart that fed
And on the pedestal these words appear
‚My name is Valve, king of kings
Look on my works, ye Mighty, and despair!‘
Nothing beside remains. Round the decay
Of that colossal wreck, boundless and bare
The lone and level sands stretch far away.

 So oder so ähnlich geht es, das 1817 erschienene Gedicht von Percy Bysshe Shelley über die Vergänglichkeit einstmaliger Größen. Wie bei den Königen und Königinnen vergangener Hochkulturen gibt es auch im heutigen Videospielbereich Institutionen, die in einer Zeit wie der unseren, in welcher der Glauben immer mehr an Bedeutung zu verlieren scheint, die Massen der Spieler in der Form einer Ersatzreligion in digitale Pilger und glühende Anhänger verwandeln.

Das Studio Valve, welches heutzutage nicht mehr nur als bloßes Entwicklerstudio bezeichnet werden kann, sondern als weltumspannendes Unternehmen, das mit Steam nichts Geringeres als die einflussreichste Plattform im Videospielbereich aller Zeiten kreiert hat, galt lange als der unangefochtene König, wenn die Frage nach dem wahren Freund des Spielers aufkam.

Gabe Newell, der Kopf und vor allem das Gesicht der Firma, wurde für Spieletitel wie Half-Life und Portal verehrt, regelmäßige Steam-Sales mit rekordmäßig reduzierten Spieletiteln als willkommenes Zeichen der Freundschaft akzeptiert und Memes aller Couleur über den Kultstatus Valve’s geschaffen. Die Huldigung des von den Spielern selbst erkorenen Königs der Videospiele wurde jeden Tag stärker und die Leute waren glücklich mit ihrer Entscheidung. Lang lebe Ozymandias! Lang lebe Valve! Aber… ist das noch immer der Fall?

Quo Vadis, Valve?

In den letzten Jahren hat sich viel getan, aber eben auch gleichzeitig… wenig. Das Offensichtlichste zuerst – die letzte Spieleankündigung des Entwicklers aus Bellevue, die nicht auf enttäuschte Zuschauerreaktionen stieß ist schon eine ganze Weile her. Marken wie Half-Life, Left 4 Dead und Portal haben zwar ihrerzeit viele Facetten des Mediums Videospiel entscheidend geprägt, glänzen heutzutage allerdings hauptsächlich durch Abstinenz.

Sicher, Portal 2 setzte 2011 narrative und gamedesign-technische Maßstäbe, die für viele inklusive mir einen Nachklang erzeugten, dessen Echo heute noch vernehmbar ist. Dennoch gab es seitdem in den letzten sechs Jahren eine Menge Entwicklungen – und das ganz ohne Valve’s aktives Zutun. Vor allem aus dem Indie-Markt werden mittlerweile künstlerisch und erzählerisch unkonventionelle Akzente gesetzt, die so Mancher vor einiger Zeit noch von der Spieleschmiede Valve erwartet hätte.

Aber existiert dieses Vertrauen in das Entwicklerstudio noch heute? Und damit meine ich nicht einmal ausschließlich aus einer Spielerperspektive heraus betrachtet, sondern auch aus der Sichtweise von Valve und seinen Mitarbeitern selbst. Wer in den letzten Monaten und Jahren aufmerksam die News zum Steam-Betreiber durchgelesen hat, bemerkte vielleicht ein Muster, welches man als Zeichen einer sich nicht nur äußerlich bemerkbar machenden sondern möglicherweise auch intern hervorgerufenen Wandlung der Firma interpretieren könnte.

So schrieb beispielsweise Rockpapershotgun über den Weggang von Jay Pinkerton und weiteren Autoren innerhalb einer Zeitspanne von gerade einmal zwei Jahren:

Chet Faliszek, originally hired as a writer who went on to be a senior bossman in the company that pretends it doesn’t have bosses, left in April. His former writing partner at Old Man Murray, Erik Wolpaw, moved on in February. And last January saw Half-Life writer Marc Laidlaw leave the company after eighteen years. Add in Ted Kosmatka who left after finishing writing the DOTA 2 lore, and Valve has only Steve Jaros left on its roster.”

Das Ende von Half-Life?

Von dieser Liste ehemaliger Mitarbeiter sorgte vor allem Marc Laidlaw vor kurzem für eine weitere große Nachricht: Ohne explizit zu werden, schrieb Laidlaw einen Blogartikel, der onlineweit als Storyabschluss von Half-Life 2: Episode 3 interpretiert wurde, dem nie veröffentlichten dritten Teil der Half-Life 2-Reihe.

Glaubt man der im eigenen Firmenhandbuch proklamierten Entwicklungspolitik, so scheinen Mitarbeiter von Valve relativ zwanglos an Projekten und Ideen werkeln zu können, die sie für richtig empfinden. Gut vorstellbar ist daher, dass die von Laidlaw veröffentlichte Version des Abschlusses nur eine von vielen ist, die im Unternehmen über die Jahre umhergeisterten. Die Veröffentlichung war dennoch für viele ein Schlag in die Magengrube und ein eindeutiger Beweis für den endgültigen Tod jeglicher noch vorhandenen Half-Life-Träume. Spätestens zu diesem Zeitpunkt müssen wir uns folgende Frage stellen:

Was ist los mit Valve? Wieso verließen in so kurzer Zeit so viele hochkarätige Entwickler das Team, wie kann es sein, dass nach jahrelangem Schweigen bezüglich Half-Life plötzlich eine abschließende Zusammenfassung des ehemaligen Hauptautoren der Reihe veröffentlicht wird? Was hat das Ausbleiben neuer, interessanter IP’s damit zu tun und welche Rolle spielt eine mögliche stärkere Fokussierung auf Steam und VR?

Über manche dieser Fragen lassen sich nur Vermutungen anstellen. Bezüglich des Stellenwerts von Steam kann jedoch eindeutig festgestellt werden, dass die Plattform über die letzten Jahre einen nicht aufhörenden Wachstum erlebte. Dass Valve mit seinen Ressourcen dabei mittlerweile nicht immer hinterherkommt, kann zwischen den Zeilen ebenfalls wahrgenommen werden.

Aus allen Rohren dampft es

Immer mehr Entwickler wollen ihre Spiele auf Steam veröffentlichen, ein Kuratieren der einzelnen Titel von Seiten Valve – mittlerweile unmöglich. Nach dem Scheitern der hauseigenen Plattform Greenlight , auf der die Community selbst entscheiden konnte, welche Spiele auf Steam veröffentlicht werden sollten, wechselte der Entwickler mit Steam Direct vor kurzem zu einer simplifizierten Release-Politik: Diese besteht nun lediglich aus einer finanziellen Hürde, womit Valve die Aufgabe, einen prüfenden Blick auf die tagtäglichen Neuerscheinungen zu werfen, ein weiteres Stück von sich wegschob.

Dass dieses System bereits jetzt ausgenutzt werden kann, wurde ebenfalls schon gezeigt. So löschte Valve kürzlich über 170 Fake-Spiele aus dem eigenen Store, welche lediglich aus vorgefertigten Assets bestanden und einer einzigen Person zuzuordnen waren.

Also, quo vadis, Valve? Ist die Mär vom kreativ erfüllenden Abenteuerparadies für Entwickler nur ein Mythos? Hat der zunehmende zeitliche und ressourcen-technische Anspruch für Steam und eine möglicherweise wenig zielgerichtete und einheitliche Arbeit an bestehenden und neuen Marken dazu geführt, dass selbst langjährige Mitarbeiter ihre entwicklerische Freiheit mittlerweile abseits von Valve größer einschätzen? Oder ist die Neuorientierung des Unternehmens zu einer, von der Öffentlichkeit hauptsächlich als Spieleverkaufsplattform wahrgenommenen Firma, welche inzwischen mit Steam Machines und dem Steam Controller auch einen mäßig erfolgreichen Schritt in Richtung Hardwareanbieter wagte, einfach auf Missgunst gestoßen? Sowohl intern, als auch extern?

Dieser Text ist jetzt an dem Punkt angekommen, an dem dennoch, trotz all der pessimistisch stimmenden Informationen, ein Hoffnungsfunken am Horizont hervorlugt. Die in strahlender Rüstung gekleidete Kavallerie reitet im Fall von Valve’s drohendem Gesichtsverlust als ernstzunehmendes Entwicklerstudio in der Form von – wer hätte es gedacht – VR ein.

Valve + Vive = Zukunft der Videospiele?

Nicht nur bietet Valve mit der HTC Vive eine der hochwertigsten Exemplare an, die es momentan im Virtual Reality-Markt zu finden gibt, es wurde auch noch von Gabe Newell persönlich mitgeteilt, dass man gerade an drei vollwertigen Spielen für die Plattform arbeite. Viel mehr Infos gibt es momentan nicht, auch nicht, ob diese Titel eine VR-Exklusivität beinhalten werden, um welche Genres es gehen soll, oder ob der Release noch für dieses Jahrhundert angesetzt ist.

Mit einem solch starken Fokus auf VR geht Valve allerdings unbestreitbar ein Risiko ein. Jedoch nicht unbedingt ein monetäres. Viel mehr wird hier mit der Gunst der Spieler gewettet und der Versuch eingegangen, die über die Jahre verloren gegangenen Sympathiepunkte mit einem „All-in“-Move auf VR wiederzugewinnen. Sollte Valve die eigenen Versprechen einhalten, wird sich vielleicht zum ersten Mal zeigen, wie es um die Zukunft von VR in der Spielelandschaft generell gestimmt ist. Eine Frage, die zumindest zu diesem Zeitpunkt noch in den Sternen liegt.

Trotz all der Kritikpunkte und Enttäuschung der letzten Jahre bleibt Valve ein Unternehmen, das bereits mehrere Male den richtigen Riecher bewiesen hat, wenn es um die Prognose der Zukunft des Mediums Spiele ging. Ob sich jedoch auch der hoch gepokerte Spielzug in Sachen VR als eine Entscheidung herausstellt, welche die Videospiellandschaft so sehr prägen und in neue Richtungen stoßen wird, wie einst Steam, muss sich erst noch zeigen.

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