Ich hätte nicht gedacht, dass es dieses leidige Thema tatsächlich schafft, mich so sehr zu beschäftigen, dass ich mich gezwungen sehe, zur digitalen Feder zu greifen, aber jetzt ist es wohl doch noch passiert. Wer es nicht mitbekommen hat: Das 2013 erschienene Total War: Rome 2 hat vor kurzem ein neues Update bekommen. „Und jetzt?“, denkt sich der geneigte Leser wahrscheinlich, falls er zu den Glücklichen gehören sollte, die den Shitstorm, den dieses Update nach sich zog, aus unerfindlichen Gründen nicht mitbekamen. Mal wieder war es das lausige Thema der Authentizität, das dazu führte, dass sich aufs Neue die Crème de la Crème der Internetdiskutanten und Videospiel-gegen-den-Untergang-des-Abendlandes-Verteidiger gezwungen sahen, wütend in ihre Tasten zu hauen. „Ja, aber wieso denn jetzt genau?!“
Nach dem veröffentlichten Update tauchten plötzlich Gerüchte auf, dass die Spawnraten der weiblichen Generäle im Spiel erhöht wurden. Skandal! Wie sich jedoch durch eine eigens von Creative Assembly verfasste Pressemitteilung via Twitter herausstellte, wurde an der Spawnrate rein gar nichts verändert – das Familienstammbaum-Update ermöglichte lediglich den Zuwachs an weiblichen Familienmitgliedern in der eigenen Fraktion:
Zu dem Zeitpunkt als diese Mitteilung veröffentlicht wurde, war das Unheil allerdings schon angerichtet. Das Gerücht hatte sich mittlerweile verselbstständigt, Newsplattformen berichteten Scharweise und in den dazugehörigen Kommentarspalten wurden mal wieder Social Justice Warriors zur Wurzel allen Übels in der Welt erkoren, die Steam-Foren brannten und die Bewertungen zu Rome 2 auf selbiger Plattform wurden in den letzten Tagen mit negativen Reviews gebombt.
Das Ganze ist ja beileibe nichts Neues, schaut man sich die Rezeption zu den weiblichen Soldaten in Battlefield 5, oder (sozusagen der Urvater der modernen Authentizitätsdebatte in Spielen) den lang und breit diskutierten Fall von Kingdom Come: Deliverance an. Ein Selbsteingeständnis an dieser Stelle; bisher nickte ich diejenigen engstirnigen Schreihälse, die sich mit ihren festgefahrenen Argumenten bereits vor jeglichen stattfindenden Diskussionen durch ihre Art der Artikulation für selbige eigentlich schon disqualifiziert hatten, meist mit einem Kopfschütteln ab. Aus meiner Filterbubble heraus stieß ich recht selten auf Kommentarspalten, in denen solche Meinungen vorherrschend waren, und obwohl ich mir bewusst war, dass diese Menschen irgendwo existierten, manipulierten und wahrscheinlich auch zum gleichen Schlag Mensch gehörten, die Frauen Morddrohungen schickten, weil diese Essays zur weiblichen Darstellung in Spielen produzieren, sah ich sie größtenteils als lautstarke Minderheit. Als Problem, das man dadurch nur größer macht, indem man sie immer mehr ins Rampenlicht zerrt.
Ehrlich gesagt weiß ich auch heute nicht, wie groß die Anzahl dieser Menschen tatsächlich ist. Mittlerweile wissen wir, dass gerade bei Internettrollen am rechten Rand gerne Mehrfach-Accounts verwendet werden. Gleichzeit wissen wir aber auch, wie es um die politische Lage im Land gestellt ist. Warum ich jetzt doch diesen Text schreibe? Irgendwann gibt es eben doch den einen Tropfen Idiotie, der das Fass der geballten Dummheit zum Überlaufen bringt.
Alles an dieser ganzen Geschichte ist, wenn man es mal nüchtern betrachtet, hochgradig peinlich. Das unhinterfragte Aufnehmen und weiterverbreiten eines Gerüchtes, das sich als haltlos herausstellte, die Mob-Mentalität, die auf Diskussionsplattformen Menschen gleicher absurder Ansichten in Solidaritätsstimmung gegen den erneuten „feministischen Quatsch“ versetzte, und die Argumentation selbst, die doch tatsächlich wieder die Anstrebung authentischer Unantastbarkeit in den Mittelpunkt stellte. Dass Creative Assembly sich im Zuge dessen gezwungen sah, tatsächlich eine ernst gemeinte Pressemitteilung zu veröffentlichen, setzte dem Ganzen nur die Krone auf. Was mich jedoch tatsächlich mit am meisten beschäftigte: eine tatsächliche Traurigkeit meinerseits über den scheinbar absoluten Unwillen eines Erkenntnisfortschrittes bei diesen Leuten.
Ich habe ein Geständnis zu machen: Ich bin froh, dass es die Debatte um Kingdom Come gab! Warum? Weil ich im Zuge dessen selbst einiges gelernt habe. Ich bin kein Geschichtsstudent, mein Verständnis zu historischen Darstellungen, sei es in Fachbüchern, Filmen oder sonstigen Medienformen war wahrscheinlich so ziemlich das eines Durchschnittseuropäers. Klischees über das Mittelalter und sonstige Epochen, die seit Schulzeiten quasi internalisiert wurden, haben auch meine Vorstellungen zum Geschichtlichen bestimmt; hinterfragt habe ich diese Dinge im Einzelnen von mir aus selbst selten. Als Kingdom Come angekündigt wurde (das ich bis heute nicht gespielt habe), sah ich den Authentizitätsanspruch auch noch mit anderen Augen als heutzutage. Das Zusammensetzen mit Historikern seitens der Entwickler klang überzeugend, die Darstellung der Schwertkämpfe wirkte behäbig und dadurch „realer“ und über die potentiell diskriminierende Darstellung einzelner Völker machte ich mir reichlich wenig Gedanken. Die Debatte bezüglich der People of Color bekam ich dann erst im Nachhinein mit, in etwa um den Zeitpunkt, als LePetitCapo auch seinen ausschlaggebenden Blogartikel zu Vávra veröffentlichte.
Und dann? Las ich, wie beispielsweise Aurelia von Geekgeflüster und viele andere aus einer geschichtswissenschaftlichen Perspektive heraus das ganze Thema der authentischen Darstellung unserer Vergangenheit aufdröselten. Hörte ich, wie Dom Schott und etliche andere in Podcast- oder Videoform ihr erlerntes und überaus nützliches Wissen bezüglich dieser Thematiken kundgaben, und allmählich formte sich durch das kontinuierliche Gedankenmachen zu diesem Thema auch mein Geist in einer neuen Form um das Konzept der authentischen Darstellung, die vielmehr eine auf ewig zum Scheitern verurteilte Annäherung zu sein scheint, als eine Replizierung der Wirklichkeit. Man könnte es auch plump als „Weiterbildung“ bezeichnen. Was ich damit Ausdrücken möchte: dass es manchmal (oder besser gesagt, immer) nicht schaden kann, seine vermeintliche Weltansicht nicht als starr anzusehen, sondern sie in regelmäßigen Abständen zu hinterfragen und durch die Erkenntnisse Anderer selbst zu neuem Wissen zu gelangen. Dieser Wissensaustausch ist es eigentlich, für den das Internet in einer perfekten Welt eine ideale Plattform darstellen würde. Leider verkehrt sich diese idealistische Hoffnung in jüngster Zeit allzu oft in das genaue Gegenteil, denn es scheint: Nichts ist toxischer, als die Engstirnigkeit und die Angst vor dem Zusammenfall der eigenen, konstruierten Realität.
Ich denke auch, dass der entscheidende und langfristige Vorteil der Kingdom Come-Debatte war und ist, dass damit auch insgesamt ein bisschen ein Ruck durch die Diskussion gegangen ist, die ja ohnehin schon länger schwielte. Zumindest in meiner Bubble haben sich insgesamt innerhalb des letzten Jahres sehr viel mehr Historiker*innen auch für Laien verständlich besonders zum Thema Authentizität (nicht nur bei Videospielen) geäußert und einiges immer und immer wieder erklärt, das einem mit etwas fachlichem Kontext eben klar, aber von außen nicht immer so selbstverständlich ersichtlich ist. Der laut schreiende Troll-Mob ist bei dem Thema ohnehin verloren, aber jenseits davon gibt es eben genauso Leute, denen nur der Kontext fehlt, wie du ja auch von dir selbst schreibst, und dass es inzwischen mehr und mehr Leute gibt, die bereit sind, ihr Fachwissen, leicht zugänglich und verständlich mit denen zu teilen (und so eben auch gewisse Klischees aufzubrechen), ist etwas, das ich sehr feiere.
Ja, absolut. Für mich hat die Debatte eben vor allem Einblicke in Fachgebiete gegeben, in die ich mich ohne diesen Anlass wahrscheinlich gar nicht von mir aus reingearbeitet hätte. Damit bot die Debatte für Wissbegierige und alle, die nicht so tief in diesen Themen steckten, (was wahrscheinlich auch die Mehrheit der Leute darstellt) eigentlich ein bildendes Potenzial. Diese Verteidigungshaltung aber, gegen alles, was nicht direkt das widerspiegelt, was sich längst zur eigenen festgefahrenen und starren Realität manifestiert hat, sehe ich da wirklich als den großen Problempunkt.
Sehe ich genauso. Die Verteidigungshaltung ist auch das, bei dem ich langsam aber sich die Hoffnung darauf, Leute einfach informieren und so überzeugen zu können, aufgegeben habe. Ich hatte erst Anfang des Monats zu meinem Artikel über Kingdom Come sowohl auf Twitter als auch so in den Kommentaren x Leute, die fanden, ich würde nur mit einer politischen Agenda dem Spiel irgendetwas unterstellen wollen. Dass ich literally weder zum ersten noch zum letzten Mal über Geschichte und Popkultur gebloggt habe und Historikerin bin, war da scheinbar vollkommen egal und selbst absolute basics, von denen ich weiß, dass sie auch Laien bekannt sein können, sind aus Prinzip angezweifelt worden, weil ich ja irgendwie Teil einer SJW-Verschwörung bin. (Selbiges ließ sich ja auch vielerorts z.B. in den Kommentaren und Replies auf Twitter während der KCD-Kontroverse beobachten.) Da stößt man halt einfach an eine Wand jenseits von Fakten, Information oder einfach Diskussion.
Das Wichtigste bei einer solchen Debatte ist es ja auch, dass man etwas daraus gelernt hat und dadurch einen kritischen Blick schult. Ich selber habe KCD gespielt, aber eben durch die ganze Geschichte dahinter mit einem extrem kritischen Auge auf viele der Plotpoints, wohingegen ich ohne diese Debatte das Ganze anders aufgefasst hätte.
Deshalb finde ich es auch immer wichtig, dass zu diesen Themen differenzierte Beiträge erscheinen, von klugen Köpfen, die sich in dem Themenbereich auskennen oder sich damit intensiv beschäftigt haben. Dass man damit dem Hassmob eine Plattform geben würde, halte ich selber für fraglich. Man nimmt ihnen eher die Plattform weg.
Genau, dafür bin ich der Debatte auch dankbar. Ebenso hoffe ich, dass dadurch ein Bewusstsein geschaffen wurde, damit zukünftige Titel mit ähnlichen Ansprüchen schon im Vorfeld kritischer beäugt werden und es auch mehr Analysen geben wird, die sich beispielsweise mit der geschichtlichen Darstellung befassen.
Das mit “dem Hassmob eine Plattform geben” habe ich so eigentlich nicht gemeint, differenzierte Beiträge die für Aufklärung sorgen sind auf jeden Fall begrüßenswert und sollten im besten Fall in Zukunft in ihrer Quantität auch noch weiter zunehmen. Was ich damit eher meinte, sind Beiträge, die über “die Deppen mal wieder” nicht hinausgehen. Auch wenn mein Beitrag selbst durchaus polemische Züge beinhaltet, war es eigentlich mein Ziel, den Fokus darauf zu legen, dass es vollkommen in Ordnung ist, neues Wissen an sich heran zu lassen und das eigene Weltbild kritisch zu hinterfragen. Ich glaube das Kernproblem ist, dass viele Leute, die an ihren Vorstellungen verbittert festhalten, das als Zeichen der “Schwäche” sehen, sich selbst eingestehen zu müssen, möglicherweise falsch zu liegen.