#Lieblingskritiken: 14 lesenswerte Videospielartikel aus dem Jahr 2018

2018 ist passé. Der ideale Zeitpunkt also, um nochmal Revue passieren zu lassen, was Spieleblogging-Deutschland die letzten 12 Monate eigentlich so hervorgebracht hat. Und als ich den Blick wagte und tief im kunterbunten Artikelbeutel des letzten Jahres zu wühlen begann, fiel mir mal wieder auf, dass 2018 tatsächlich extrem viele faszinierende Texte verfasst wurden. Ein paar davon die ich als besonders empfehlenswert empfand, um genau zu sein 14 Stück, möchte ich hier im Zuge der #Lieblingskritiken-Aktion von Pascal (Language at Play, Indieflock) im Folgenden kurz vorstellen und zusammenfassen. Denn auch in diesem Jahr können unter entsprechendem Hashtag Texte (aber auch Video- oder Audioinhalte) gesammelt werden, die bei euch einen besonders großen Eindruck hinterlassen haben (bis zum 13.1.2019 23.59 Uhr). Alle Details zur Aktion findet ihr auf videogametourism.at. Hier nun also (in nicht-chronologischer Reihenfolge) die Kritiken, Essays, und sonstigen Gedanken zum Thema Videospiele aus dem Jahr 2018, die ich euch auf jeden Fall ans Herz legen möchte:


Das Rücksetzproblem: Ein Plädoyer für Singleplayer-Matchmaking

Fabian Fischer von Ludokultur beschäftigt sich in diesem Text mit einem eher selten diskutierten Thema: Der Rücksetz-Problematik in Singleplayer-Titeln à la Dead Cells. Die immanente Schwierigkeit von sogenannten rogue-likes, einen geeigneten Neustartpunkt nach dem frühzeitigen Bildschirmtod festzulegen, stellt sich bei genauerer Betrachtung als frusterzeugendes Problem heraus: Spielerisch simple Anfangspassagen bergen das Potential einer repetitiven Langeweile, während die späteren und schwierigeren Spielabschnitte aufgrund der zeitlich weit auseinanderliegenden Rücksetzpunkte nur selten erblickt und dadurch kaum erlernt werden können. Was laut Fischer her muss: Eine Art Singleplayer-Matchmaking, welches die individuelle Game Literacy und den Fähigkeitsgrad der spielenden Person erfasst und Rücksetzpunkte dementsprechend anpasst.

JRPG-Zauber, linguistisch erklärt

Pascal Wagner von Language at Play zeigt hier in verständlicher Sprache am Beispiel von Zauberfähigkeiten in Spielen wie Shin Megami Tensei, Persona und Final Fantasy, wie eben diese auf eine sprachwissenschaftliche Art untersucht werden können. Nachdem ihr den Text gelesen habt, seid ihr mit Begriffen wie „Morphem“ und „Assimilation“ vertraut und werdet sprachlich aufeinander aufbauende Magie in Videospielen ab sofort bestimmt mit ganz anderen Augen betrachten.

Umgekehrte Inklusion: Audio Games

Über Audio-Games, also Spiele, die meist auf einer reinen Ton-Ebene funktionieren, schrieb Cäcilia Sauer in diesem Text für Grimme-Games. Im Mittelpunkt steht dabei beispielsweise das diesjährig veröffentlichte Spiel Breu und Interviews mit Entwicklern eben jenes Studios. Ein unterhaltsamer Abriss des Themas Audio-Games, der die Schwierigkeiten in der Entwicklung dieser Spiele beschreibt und gleichzeitig die Chancen einer „umgekehrten Inklusion“ und der Nachempfindung von Problemen der Sehbeeinträchtigung für eine breite Masse hervorhebt.

Tun und lassen, was man will? Kindheit und Verantwortung in Captain Spirit

Der Überraschungs-Hit The Awesome Adventures of Captain Spirit vermittelt auf eine Weise kindliche Pflichterfüllungs-Phänomene und Traumaverarbeitung, wie es nur Spiele schaffen können: Diese und weitere spannende Gedanken finden sich im lesenswerten Text von Merle B. auf Behind-The-Screens. Inwiefern ist bei unserer Hauptfigur Chris ein Fall von Parentifizierung erkennbar? Wie schafft es die Kurzepisode von Dontnod unsere spielerische Konditionierung, immer alle Aufgaben abzuarbeiten, die uns als Spieler präsentiert werden, für narrative Zwecke auszunutzen? Eine psychologische Betrachtung eines faszinierenden Spiels, die ich nur jedem ans Herz legen kann.

Schluss mit dem Menüdschungel bei Videospielen!

In dieser Kolumne von derstandard.at rechnet Rainer Sigl mit der ständig voranschreitenden RPG-isierung vieler Titel, der Pseudokomplexität von Videospielmenüs und deren mangelnde Benutzerfreundlichkeit ab. Dabei beschreibt er treffend, dass Spiele wie beispielsweise ein von vorne bis hinten durchinszeniertes Action-Spektakel à la God of War einen beachtlichen Schaden in puncto Immersion und Überschaubarkeit einbüßen, wenn die arglosen Spielenden beim Aufrufen des Pausebildschirms erstmal von einem Dutzend Untermenüs mit statistischem Overkill erschlagen werden.

Videospiele und die Deutungshoheit über Geschichte

Von den Problemen einer historischen Akkuratesse in Videospielen sowie der gefährlichen Vermischung von Diskussionen über eben diese und einer von gefühlten Geschichtsbildern angekurbelter Misogynie handelt dieser Text von Aurelia Brandenburg. Anlass war ein Aufschrei unter einigen lautstarken Spielern, der sich dem Release eines Trailers zu Battlefield V anschloss, in dem weibliche Soldaten im zweiten Weltkrieg gezeigt wurden. Als zentrales Thema dient der Aspekt der Deutungshoheit über Geschichte, welche oftmals von eben jenen beansprucht wird, die nicht wirklich eine historische Betrachtung der dargestellten Inhalte zum Kern ihrer Debatte machen, sondern schädliche Weltbilder der Gegenwart und gefühlte sowie lückenhafte Geschichtsperspektiven als Ausgangspunkt ihrer Forderungen nutzen.

Der ambivalente Pazifismus von Pokémon Let’s Go

Pokémon, ein Spiel in dem es nur um putzige Tierchen und harmloses Ordensammeln geht? Nicht ganz, zumindest diesem Text von Pascal Graßhoff zufolge, der die Reihe und insbesondere den frisch erschienenen Ableger Let’s Go einer ethischen Analyse unterzogen hat. Der vermeintlichen Pazifismus von Pokémon stellt sich nämlich bei genauerer Betrachtung als mindestens fragwürdig heraus. Wo früher aus Sammel- und Levelzwecken noch etliche Kämpfe gegen Wildtiere geführt werden mussten, beschränkt sich Let’s Go auf die zwei Optionen des Fangens und der Flucht. Was diese neue Art der Wilderei wiederum mit dem Spätkapitalismus zu tun hat, lässt sich in diesem empfehlenswerten Text von Pascal nachlesen.

Mensch, Natur, Technik: Umweltdarstellungen in Videospielen

Über die spannende Entwicklung von Umweltdarstellungen in Videospielen schrieb Sylvio Konkol in diesem Jahr für das GAIN-Magazin (Zweitveröffentlichung auf Spielkritik) einen ausführlichen, mit zahlreichen Beispielen gespickten und sehr empfehlenswerten Artikel. Dabei werden nachvollziehbar die Zusammenhänge von realgeschichtlichen Ereignissen wie beispielsweise der Tschernobyl-Katastrophe und dem Wandel der Naturstellungen in der Kunst und vor allem im Videospiel veranschaulicht. Die Masse an Fall-Beispielen, deren treffende umweltkritische Analysen sowie die Darstellung der historischen Entwicklung der Umweltthematisierung in Spielen, machen den Artikel überaus lesenswert.

Die Stasi spielte mit

Für diesen Artikel auf ZEIT ONLINE klemmte sich Denis Gießler hinter alte DDR-Dokumente der Stasi und fand heraus, in welcher Beziehung der Nachrichtendienst zu den Computerklubs der 80er Jahre der DDR stand. In Kombination mit Berichten von Zeitzeugen wird ausführlich beschrieben, wie sogenannte IM (Inoffizielle Mitarbeiter) undercover jene Klubtreffen aufsuchten, bei denen auf Computern aus dem Westen wie dem Commodore 64 Spiele gespielt und Software getauscht wurde. Ein faszinierender Einblick in bisher unbekannte Akten, der zudem auf zeit.de mit allerlei spielerischen visuellen Einfällen (inklusive auf der Seite implementierte Spiele aus jener Zeit) präsentiert wird.

Pokémon Go: Mehr Hype kennt nur Scooter

Einen wirklich wunderschönen, emotionalen Text über das Phänomen Pokemon Go, Ingress, und die Essenz des puren, sorgenlosen Spielspaßes schrieb dieses Jahr Jannick Gänger für Polyneux. Texte, die auf solchen persönlichen, intimen Geschichten basieren und aus diesen einen Essay über Spiele stricken, kenne ich aus dem deutschsprachigen Spieleblogging-Kosmos so gut wie gar nicht. Dem Artikel von Jannick merkt man an, dass er wahrlich aus dem Herzen entsprungen ist. Wenn es einen Spiele-Essay aus dem Jahr 2018 gab, der mich tatsächlich gerührt hat, dann war es dieser.

Was Der Sandmann und The Stanley Parable verbindet – Shower Thoughts über Erzählperspektiven

Eine extrem spannende intermediale Perspektive auf die Verbindungen und Unterschiede von E.T.A. Hoffmanns Novelle Der Sandmann und Davey Wredens Spiel The Stanley Parable bietet Amon Oberhofer auf seinem Blog amonsgamecorner. Während der Erzähler in Der Sandmann seinen Rezipienten direkt anspricht und diesem dessen Abhängigkeitsituation vor Augen führt, versucht der Erzähler in Stanley Parable ähnliches, wird dabei aber permanent von der eigenwilligen Entscheidungs- und Ausbruchsmotivation der spielenden Person ausgebremst.

Politik in Spielen – Eine alternativlose Angelegenheit

Einen kurzen und lesenswerten Überblick zum Thema „Politik in Spielen“ gibt Andreas Hofbauer in seinem Gastartikel für Videospielgeschichten. Zum Einstieg in ein Thema, das eine immer größere Relevanz erfährt, gibt dieser Text anschauliche Beispiele, wie etwa die Entwicklung eines gängigen Feindbilds in Ego-Shootern über die letzten Jahrzehnte. Eine Verarbeitung von gesellschaftspolitischen Inhalten in Kulturprodukten scheint, wenn auch unbewusst, unentrinnbar. Auch wenn der AAA-Markt oftmals eine konkrete Auseinandersetzung mit diesem Faktum scheut, gibt der Erfolg von politisch mutigen Spielen wie Papers, Please und Orwell Hoffnung auf mehr Titel, die ähnliches versuchen, so Andreas.

Keitai Denjuu Telefang: Das Pokémon-Spiel, das nie existierte

Nochmal Videospielgeschichten, diesmal mit einem Artikel von Pascal Wagner über Ketai Denjuu Telefang, einem offiziell nie außerhalb Japans erschienenen Monster Taming RPG, das im Westen als Bootleg-Fassung unter dem Namen „Pokemon Diamond“ bekannt ist. Auf humorvolle Weise werden hier kindlichen Erfahrungen mit dem vermeintlich seltsamen Pokemon-Teil mit einer ausführlichen Analyse des tatsächlichen Ketai Denjuu Telefang verbunden, welches sich als unheimlich spannende Auseinandersetzung mit dem fortschreitenden Technisierungsdrang der Menschheit und Auswüchsen der Kolonisierung herausstellt, die im Artikel auf wunderbare Weise aufgedröselt wird.

Monster Hunter World: Karōshi

Wie man pointierten, trockenen Humor gelungen mit Spielanalysen verbindet, lässt sich in Marcus Dittmars Text „Monster Hunter World: Karōshi” begutachten. Die „Gier nach Gear“, die eine Fließbandarbeit des Jagens zur Folge hat, die einer „Fantasy-Variante des Kükenschredderns“ ähnelt, gibt einen Eindruck darüber, welche sprachlichen Bonmots einen in diesem Artikel erwarten. Lesenswert, so wie auch die anderen, eher kurzen humorvollen Texte dieses Blogs.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert